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Satire von Bernhard Mößner

 

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Satire ...

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Zahlenlatein

 

Der Mensch besitzt den seltsamen Spleen, immer etwas zählen zu wollen: Sein Geld, seine Krankheiten, seine Erfolge. Nicht ohne Grund hat der Schöpfer Adam und Eva mit jeweils zehn Fingern ausgestattet! Kaum, dass ihnen dies, nach dem Genuss eines Apfels vom Baum der Erkenntnis bewusst war, wurden sie auch schon aus dem Paradies gewiesen. Adam und die Stammväter der Menschheit kamen noch

gut mit diesen einfachen Hilfsmitteln zurecht: Der Hausvater zählte seine Jahre, seine Frauen, Rinder, Schafe und seine männlichen Nachkommen! Das war mit zehn Fingern gerade noch zu bewerkstelligen! Töchter und Nebenfrauen wurden nicht mitgezählt, man beschränkte sich auf das Wesentliche. Aber bald wurden die Anforderungen schwieriger: Die Urväter, zwar allesamt Spätentwickler, erwiesen sich

im Alter als erstaunlich rüstig und fruchtbar! Archensteuermann Noah wurde fünfhundert Jahre alt und zeugte Sem, Ham und Japheth. Die drei müssen ordentliche Raufbolde gewesen sein! Semiten wie Antisemiten berufen sich bei ihren Streitereien um das Erbteil bis auf den heutigen Tag auf ihn, als

ihren Stammvater.
Methusalem war hundertsiebenundachtzig Jahre alt, als er einen Sohn zeugte, danach lebte er noch siebenhundertzweiundachtzig Jahre und wurde Vater vieler Söhne und Töchter; seine Enkel bevölkerten bald die halbe Erde. Was macht es da aus, wenn kleinliche Erbsenzähler den biblischen Urvätern gelegentlich unterstellen, sie könnten sich beim Zählen ihrer Lebensjahre um ein paar Jahre verrechnet haben.
Nachdem der Brauch lange Zeit bestens funktionierte, auf Basaren seine Erzeugnisse gegenseitig auszutauschen, kam jemand auf den genialen Einfall, verschiedenartige Metallmünzen als

Zahlungsmittel einzusetzen. Um sich nicht zu verrechnen, wurde es notwendig, das Rechnen zu mechanisieren: Menschen mit findigen Köpfen bauten aus Holz, aus ein paar Drähten und aus genau hundert verschiedenfarbenen Perlen einen narrensicheren Rechenschieber.
Daraus entstand irgendwann die erste Rechenmaschine. Auf die Rechenmaschine folgten wir sowie

das Jahrhundert des Computers, den heute jeder braucht, wenn er sich in der Welt zu Recht finden

will.
Mit der Einführung persönlicher Stammdaten, in denen Tag, Monat und Jahr amtlich festgehalten sind, wurde der Mensch registrierfähig gemacht. Kein Amtschimmel wiehert für uns ohne standesamtliche Melderegister- Personal- Kranken- und Versicherungsnummern,
oder andere Buchstaben-Zahlen-Codes. Der Neuzeitmensch braucht eine Haus- und Steuernummer,

er benötigt Post- und Bankleitzahlen, selbst im Traum muss er seine Vorwahl- Telefon- Fax- und

vielerlei Mitgliedsnummern so schnell und sicher herabspulen können wie ein sechzehnfaches CD-Rom-Laufwerk. Die Welt ist ein einziges Nummernschloss geworden! Jeder muss seine Kontonummer und

seine Geheimzahl wissen, um per Chipkarte an sein Geld zu kommen; sie / er braucht für die täglichen Bankgeschäfte PIN und TAN, Rechnungs- und Kunden-Referenznummern, um all seine anfallenden privaten, geschäftlichen und kommunalen Ab- und Aufgaben überhaupt erledigen zu können.
Sollte man sich einmal vertippen, ist das Geld ist weg. Fort auf Nimmerwiedersehen!
Eine andere todsichere Methode, sein Geld für immer loszuwerden, bietet der Kauf einer modernen Telefonanlage! Aus Wettbewerbsgründen verschweige ich den altehrwürdigen deutschen

Markennamen. Meine Frau und ich waren beeindruckt als wir das Gerät daheim aus dem Karton und Styropormantel auspackten: Vornehm sah es aus, mattschwarz, gediegen, ein technisches

Wunderwerkt mit Mobilteil, Lautsprecher, Lautstärkenregelung, Anrufbeantworter, Nummernspeicher, Info- und Wiedergabetaste. Man kann ankommende Gespräche in andere Räume umleiten, sich damit morgens wecken lassen und natürlich lässt sich mit dem Wunderding auch telefonieren.
Ein viertel Jahr lang ging alles wunderbar. Es war ein glückliches Vierteljahr! Telefonieren machte

richtig Spaß. Die Telefongesellschaft buchte monatlich beachtliche Beträge von meinem Konto ab. Sie schrieb erstmals schwarze Zahlen. Meine Telekom-Aktien stiegen. Die beste aller denkbaren Ehefrauen meldete bescheidene Kleiderwünsche an. Dass unsere Aktien danach in bodenlose Tiefen stürzten,

hatte sicher auch mit unserer Telefonanlage zu tun. Die bescheidenste Ehefrau der Welt stellte ihre textilen Wünsche wieder einmal zurück.
Das kam so: Auf dem Mobilteil blinkte ein rotes Lämpchen. Also studierte ich das mitgelieferte

Handbuch mit Gebrauchsanleitung in deutscher Sprache: „Bei Störung der Gerät
wählen Sie, nachdem die Kabel abgesteckt, die Drücktast: F > 8. > R * 2 4 3 1 > > 1 2 3
* OK. in 30 Sekunde bald. Ich drückte „die Drücktast“ in der angegebenen Reihenfolge, brauchte

dazu aber mehr als eine Minute, worauf auf dem Display die Meldung „Automat.
Wahlweidh“ was das immer heißen soll, erschien. Ich übte energisch, bis sich erste Erfolge einstellten!
Danach verlöschte das Blinklicht am Mobilteil, dafür leuchtete ein rotes Dauerlicht am Basisgerät.

Jetzt waren wir telefonisch nicht mehr erreichbar! Unser Nachbar ließ mich von seinem Apparat aus telefonieren. Der von mir angerufene Händler verwies mich auf die Hotline-Nummer des Herstellers.

Nach zwei Stunden klappte die Verbindung: Eine freundliche Damenstimme fragte nach meinem Begehr und verband mich mit dem technischen Service. Dort schnarrte eine Computerstimme: Drücken Sie innerhalb dreißig Sekunden die Tasten: (F > 8 > R * 2 4 3 1 > > 1 2 3 * OK.) Nach dreimaligem

Abhören des Bandes hatte ich alles richtig notiert und ging hoffnungsvoll nach Hause und ans Werk. Plötzlich hörte die verständnisvollste Ehefrau der Welt einen animalischen Schrei, der, wie sie meinte, aus unserer Diele erschallte.
Am nächsten Morgen fuhren wir zusammen in die Stadt. Im Antiquitätenladen am Rathaus-
platz fand ich einen Telefonapparat aus dem neunzehnten Jahrhundert. Dieser verschnörkelte

schwarze Kasten, noch massive deutsche Wertarbeit, mit stabiler Drehscheibe und einer metallenen Hörer-Ablagegabel, ziert nun, zusammen mit einem weißlackierten Biedermeier-Tischchen,

unsere Diele. Die findungsreichste aller Ehefrauen fand irgendwo ein passendes Spitzendeckchen,

das sie als junges Mädchen kunstvoll umhäkelt hatte. Wenn der Klingelton ertönt, fallen wir aus unsern Betten.
Für den stets üppigen Blumenschmuck in der Diele sorgen unsere zahlreichen Gäste, die alle unser herrliches Telefon bewundern wollen. Wir sind nun angesehene Leute am Ort, man spricht mit und

über uns, allseits werden wir beneidet! Man besucht uns und bringt uns Rosen, Wein und Pralinen mit. Manche Besucher wollen bei uns einfach nur telefonieren.
Alle wollen uns zu sich in ihr gemütliches Heim einladen. Aber wir lehnen dankend ab, wir bleiben

zuhause und hüten unser Telefon, auf das wir mit Recht stolz sind.

© Bernhard Mößner
 


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