Der Mensch besitzt den seltsamen
Spleen, immer etwas zählen zu wollen: Sein Geld, seine Krankheiten, seine
Erfolge. Nicht ohne Grund hat der Schöpfer Adam und Eva mit jeweils zehn Fingern
ausgestattet! Kaum, dass ihnen dies, nach dem Genuss eines Apfels vom Baum der
Erkenntnis bewusst war, wurden sie auch schon aus dem Paradies gewiesen. Adam
und die Stammväter der Menschheit kamen noch
gut mit diesen einfachen
Hilfsmitteln zurecht: Der Hausvater zählte seine Jahre, seine Frauen, Rinder,
Schafe und seine männlichen Nachkommen! Das war mit zehn Fingern gerade noch zu
bewerkstelligen! Töchter und Nebenfrauen wurden nicht mitgezählt, man
beschränkte sich auf das Wesentliche. Aber bald wurden die Anforderungen
schwieriger: Die Urväter, zwar allesamt Spätentwickler, erwiesen sich
im Alter als erstaunlich rüstig und
fruchtbar! Archensteuermann Noah wurde fünfhundert Jahre alt und zeugte Sem, Ham
und Japheth. Die drei müssen ordentliche Raufbolde gewesen sein! Semiten wie
Antisemiten berufen sich bei ihren Streitereien um das Erbteil bis auf den
heutigen Tag auf ihn, als
ihren Stammvater.
Methusalem war hundertsiebenundachtzig Jahre alt, als er einen Sohn zeugte,
danach lebte er noch siebenhundertzweiundachtzig Jahre und wurde Vater vieler
Söhne und Töchter; seine Enkel bevölkerten bald die halbe Erde. Was macht es da
aus, wenn kleinliche Erbsenzähler den biblischen Urvätern gelegentlich
unterstellen, sie könnten sich beim Zählen ihrer Lebensjahre um ein paar Jahre
verrechnet haben.
Nachdem der Brauch lange Zeit bestens funktionierte, auf Basaren seine
Erzeugnisse gegenseitig auszutauschen, kam jemand auf den genialen Einfall,
verschiedenartige Metallmünzen als
Zahlungsmittel einzusetzen. Um sich
nicht zu verrechnen, wurde es notwendig, das Rechnen zu mechanisieren: Menschen
mit findigen Köpfen bauten aus Holz, aus ein paar Drähten und aus genau hundert
verschiedenfarbenen Perlen einen narrensicheren Rechenschieber.
Daraus entstand irgendwann die erste Rechenmaschine. Auf die Rechenmaschine
folgten wir sowie
das Jahrhundert des Computers, den
heute jeder braucht, wenn er sich in der Welt zu Recht finden
will.
Mit der Einführung persönlicher Stammdaten, in denen Tag, Monat und Jahr amtlich
festgehalten sind, wurde der Mensch registrierfähig gemacht. Kein Amtschimmel
wiehert für uns ohne standesamtliche Melderegister- Personal- Kranken- und
Versicherungsnummern,
oder andere Buchstaben-Zahlen-Codes. Der Neuzeitmensch braucht eine Haus- und
Steuernummer,
er benötigt Post- und
Bankleitzahlen, selbst im Traum muss er seine Vorwahl- Telefon- Fax- und
vielerlei Mitgliedsnummern so
schnell und sicher herabspulen können wie ein sechzehnfaches CD-Rom-Laufwerk.
Die Welt ist ein einziges Nummernschloss geworden! Jeder muss seine Kontonummer
und
seine Geheimzahl wissen, um per
Chipkarte an sein Geld zu kommen; sie / er braucht für die täglichen
Bankgeschäfte PIN und TAN, Rechnungs- und Kunden-Referenznummern, um all seine
anfallenden privaten, geschäftlichen und kommunalen Ab- und Aufgaben überhaupt
erledigen zu können.
Sollte man sich einmal vertippen, ist das Geld ist weg. Fort auf
Nimmerwiedersehen!
Eine andere todsichere Methode, sein Geld für immer loszuwerden, bietet der Kauf
einer modernen Telefonanlage! Aus Wettbewerbsgründen verschweige ich den
altehrwürdigen deutschen
Markennamen. Meine Frau und ich
waren beeindruckt als wir das Gerät daheim aus dem Karton und Styropormantel
auspackten: Vornehm sah es aus, mattschwarz, gediegen, ein technisches
Wunderwerkt mit Mobilteil,
Lautsprecher, Lautstärkenregelung, Anrufbeantworter, Nummernspeicher, Info- und
Wiedergabetaste. Man kann ankommende Gespräche in andere Räume umleiten, sich
damit morgens wecken lassen und natürlich lässt sich mit dem Wunderding auch
telefonieren.
Ein viertel Jahr lang ging alles wunderbar. Es war ein glückliches Vierteljahr!
Telefonieren machte
richtig Spaß. Die
Telefongesellschaft buchte monatlich beachtliche Beträge von meinem Konto ab.
Sie schrieb erstmals schwarze Zahlen. Meine Telekom-Aktien stiegen. Die beste
aller denkbaren Ehefrauen meldete bescheidene Kleiderwünsche an. Dass unsere
Aktien danach in bodenlose Tiefen stürzten,
hatte sicher auch mit unserer
Telefonanlage zu tun. Die bescheidenste Ehefrau der Welt stellte ihre textilen
Wünsche wieder einmal zurück.
Das kam so: Auf dem Mobilteil blinkte ein rotes Lämpchen. Also studierte ich das
mitgelieferte
Handbuch mit Gebrauchsanleitung in
deutscher Sprache: „Bei Störung der Gerät
wählen Sie, nachdem die Kabel abgesteckt, die Drücktast: F > 8. > R * 2 4 3 1 >
> 1 2 3
* OK. in 30 Sekunde bald. Ich drückte „die Drücktast“ in der angegebenen
Reihenfolge, brauchte
dazu aber mehr als eine Minute,
worauf auf dem Display die Meldung „Automat.
Wahlweidh“ was das immer heißen soll, erschien. Ich übte energisch, bis sich
erste Erfolge einstellten!
Danach verlöschte das Blinklicht am Mobilteil, dafür leuchtete ein rotes
Dauerlicht am Basisgerät.
Jetzt waren wir telefonisch nicht
mehr erreichbar! Unser Nachbar ließ mich von seinem Apparat aus telefonieren.
Der von mir angerufene Händler verwies mich auf die Hotline-Nummer des
Herstellers.
Nach zwei Stunden klappte die
Verbindung: Eine freundliche Damenstimme fragte nach meinem Begehr und verband
mich mit dem technischen Service. Dort schnarrte eine Computerstimme: Drücken
Sie innerhalb dreißig Sekunden die Tasten: (F > 8 > R * 2 4 3 1 > > 1 2 3 * OK.)
Nach dreimaligem
Abhören des Bandes hatte ich alles
richtig notiert und ging hoffnungsvoll nach Hause und ans Werk. Plötzlich hörte
die verständnisvollste Ehefrau der Welt einen animalischen Schrei, der, wie sie
meinte, aus unserer Diele erschallte.
Am nächsten Morgen fuhren wir zusammen in die Stadt. Im Antiquitätenladen am
Rathaus-
platz fand ich einen Telefonapparat aus dem neunzehnten Jahrhundert. Dieser
verschnörkelte
schwarze Kasten, noch massive
deutsche Wertarbeit, mit stabiler Drehscheibe und einer metallenen
Hörer-Ablagegabel, ziert nun, zusammen mit einem weißlackierten
Biedermeier-Tischchen,
unsere Diele. Die findungsreichste
aller Ehefrauen fand irgendwo ein passendes Spitzendeckchen,
das sie als junges Mädchen
kunstvoll umhäkelt hatte. Wenn der Klingelton ertönt, fallen wir aus unsern
Betten.
Für den stets üppigen Blumenschmuck in der Diele sorgen unsere zahlreichen
Gäste, die alle unser herrliches Telefon bewundern wollen. Wir sind nun
angesehene Leute am Ort, man spricht mit und
über uns, allseits werden wir
beneidet! Man besucht uns und bringt uns Rosen, Wein und Pralinen mit. Manche
Besucher wollen bei uns einfach nur telefonieren.
Alle wollen uns zu sich in ihr gemütliches Heim einladen. Aber wir lehnen
dankend ab, wir bleiben
zuhause und hüten unser Telefon,
auf das wir mit Recht stolz sind.
© Bernhard Mößner
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