Alle Jahre wieder ...
Alle Jahre
wieder stehe ich vor dem gleichen Problem, und ich mutmaße, dass der größte Teil
meiner Leserschaft meine Nöte nachfühlen kann. Jahr für Jahr hat dieses Problem
an meinem Seelenfrieden genagt, hat mich wochenlang meinen wohl verdienten
Schlaf gekostet. Doch
dieses Jahr …
dieses Jahr kann ich mich mit stolz geschwellter Brust und völlig entspannt in
meinem Fernsehsessel zurücklehnen: Das Problem ist vom Tisch!
Wochenlang,
wenn im Spätsommer die ersten Nikoläuse durch die Straßen latschten und sich
unter ihren Fracks dem Herzinfarkt nahe schwitzen und die Reste der Osterhasen
in den Regalen der Geschäfte auf wundersame Weise in Weihnachtsmänner mutiert
sind, fangen meine Gedanken an, sich erfolglos der unlösbaren Aufgabe zu widmen.
Nichts will mir Sinniges einfallen, wenn ich
an Weihnachten
und die krisenträchtigen Begleitumstände denke. Doch die alljährliche Gefahr ist
dieses Mal glorreich gemeistert! Weihnachten mit allen Drum und Dran kann
kommen!
Obwohl seit
zig Jahren eine Vereinbarung in der Familie besteht, dass an Weihnachten keine
Geschenke ausgetauscht werden, von wegen „Wir haben doch alles, und wenn wir was
brauchen, kaufen wir es eben“, werden alle Lieben bedacht, damit nur niemand
hinterher ein dummes
Gesicht machen
und uns allen die Feiertage verderben kann. Das Problem aller Probleme für
dieses Jahr habe ich gelöst, und jetzt ist erst einmal Ruhe, mindestens bis
nächstes Jahr Weihnachten, abgesehen von den Geburts-, Namens- und
Hochzeitstagen, Jubiläen und was sonst noch anliegt, wo sich aber meistens meine
Frau drum kümmert, die ich schließlich eigens und auch wegen solcher
Arbeitsteilungen geheiratet habe.
Warum ließ ich
meine Familie eigentlich vor Jahren einen Meineid schwören, womit auch noch alle
einverstanden waren?, habe ich mich oft gefragt. Keine Geschenke mehr zu
Weihnachten! Alle hatten nämlich schon lange gemerkt, dass Weihnachten ein Fest
der Wirtschaft oder des Handel ist, die alle nur an unsere sauer verdiente Kohle
wollen. Gut, da gibt es zwar noch den Romantikaspekt, der an die Seelen rührt
oder auch an die Herzen … Aber an die Geschichte mit dem heiligen Geist, der die
Jungfrau angebaggert hat, glaube ich schon ewig nicht mehr, schon seit der Zeit,
als ich den Kindergarten verließ. Die Geschichte passte nie so recht in meine
Vorstellungswelt, und deshalb fehlt mir vielleicht auch ein wenig der Zugang zu
dem Geschehen.
Ich weiß zwar
nicht mehr ganz genau, in welchem Jahr unser Familienentschluss gefasst wurde,
doch an das Ergebnis kann ich mich noch gut erinnern: In keinem Jahr waren die
Geschenkpakete größer und wertvoller als im Jahr des Meineids. Etliche Jahre
Gefängnis hätten wir als einzig verdiente Strafe für diese Verfehlung erhalten
müssen, hätten wir damals einen Ankläger gefunden. Haben wir aber zum Glück
nicht. Die Päckchen sind inzwischen zumindest wieder eine Dimension kleiner
geworden, so hat der Schwur also doch ein bisschen was genützt. Heutzutage wird
jedes Familienmitglied argwöhnisch beäugt, je näher das nächste Weihnachtsfest
heranrückt. Wird da vielleicht heimlich ein Geschenk in die Wohnung
geschmuggelt, das dann auch noch versteckt wird wie die Eier an Ostern? Wie groß
war das Päckchen? Muss ich nun über eine mögliche Revanche nachgrübeln? Jedes
Jahr das gleiche Dilemma! Warum tun wir uns das an?
Mit den Jahren
bin ich schlauer geworden. Schlau wie die Igel, die den Hasen beim Wettlauf
alleine rennen ließen und dennoch immer als Erste ins Ziel gelangten. Jedes Jahr
fange ich mittlerweile mit dem besten aller guten Vorsätze an – zum wievielten
Male eigentlich? –:
„Fang früher
mit den Einkaufen der Weihnachtsgeschenke an, am besten schon vor Neujahr,
und nicht erst
kurz vor dem Fest, Heiligabend morgens!“, ordne ich mir gegenüber an,
„du verteilst
dieses Mal das schwierige Werk des Geschenke Sammelns übers ganze Jahr!
Hier mal was
mitnehmen, dort schon einmal was ausgucken oder sogar bestellen. Ganz locker –
cool, wie das heute so heißt im neudeutschen Sprachgebrauch – gehst du die Sache
an.“ In meinem Computer habe ich eigens ein paar Dateien angelegt mit viel
sagenden Namen wie „Wunschzettel“. Warum diese Dateien kurz vor Weihnachten
gewöhnlich so nichts sagend leer sind, muss wohl an den Computerabstürzen
während des Jahres liegen. Eine andere Erklärung kommt mir jedenfalls nicht in
den Sinn, wenn ich in die Dateien schaue und unbeschriebene
Seiten
vorfinde.
Nun denn … es
vergehen gewöhnlich die ersten Wochen des Jahres und noch ein paar, und Monate
auch. Weihnachten habe ich voll im Griff, denke ich, das heißt, ich denke eher
überhaupt nicht an Weihnachten. Bis Weihnachten ist’s ja noch sooo lang hin!
Doch nach den
Sommerferien werden bereits die ersten unübersehbaren Fingerzeige sichtbar:
In den
Geschäften sind bereits wieder die ersten Nikoläuse aus Schokolade käuflich zu
erwerben. Schon siehst du in den Regalen Weihnachtsmänner, die zeitgemäß mit den
Hüften wackeln und amerikanische Weihnachtslieder krähen können, Unsitten die
mitsamt der Quäkerspeise nach dem Krieg Deutschland erreicht haben. Richtig
gefährlich wird es, wenn mich meine alte Mutter anruft und mich fragt: „Junge,
was wünschst du dir denn dieses Jahr zu Weihnachten?“, und obwohl ich seit
Jahren weiß, dass ich eine kleine Flasche Schinkenhäger bekommen werde – mehr
lässt ihre Rente nicht mehr zu –, die für meinen Schwager bestimmt ist, weil sie
meine Wünsche ständig
mit denen
meines Schwagers verwechselt, der dafür im Gegenzug meine Mon Chérie erhält.
Jedenfalls plant sie genauso gerne wie unaufhörlich, zumal sie inzwischen das
97. Lebensjahr erreicht hat und ständig fürchtet, das nächste Fest nicht mehr zu
erleben, zumindest nicht oberhalb der oft zitierten Grasnarben, was ich mir bei
ihrer robusten Gesundheit aber nicht im Geringsten vorstellen kann. Nach solch
einem Gespräch kommt immer ein merkwürdiges Gefühl in mir hoch, Fragezeichen
bauen sich vor meinen Augen auf. Weihnachten! Schon will man wissen, was ich mir
dieses Mal wünsche. Ist es schon wieder so weit? Eigentlich habe ich nur den
einen Wunsch: dass Weihnachten gar nicht erst auf mich zukommt, am besten gar
nicht mehr stattfindet, wenigstens die nächsten fünfzig Jahre nicht mehr.
Noch drei
Monate! Anfang Oktober: Kataloge werden gesammelt. Langsam – und mit jedem Tag
mehr – wird es ernst! Neckermann, Quelle, MediaMarkt, den zu betreten ich mich
jedoch wegen seiner saublöden Werbung weigere, und was es alles sonst noch an
Anbietern von mehr oder weniger nutzlosem Zeugs so gibt. Tausend Angebote und
Ideen im Internet, die einen
wochenlang um
den Schlaf bringen werden. Espresso-Geräte, von führenden Designern
entworfen,
Radiowecker, die dich wecken, außer du stellst sie nicht an, und aller möglicher
anderer Schrott, den kein Schwein braucht. „Zur Not wirst du schon noch was
bekommen,
Einfälle
hattest du doch schließlich immer noch genug“, beruhige ich mich immer und immer
wieder ...
Der Dezember
erscheint im Kalender. Warum habe ich nur ausgerechnet in diesem Monat immer
so viel
Arbeit? Eines Abends werde ich mich aufraffen und versuchen, meine Frau
vorsichtig und so hintenherum wie möglich auszufragen, welche Kleinigkeit sie
sich denn so zu Weihnachten wünsche. Vielleicht habe ich ja Glück, hoffe ich,
und sie beantwortet meine Anfrage sogar. Im September hat sie mal was
durchblicken lassen, so ganz nebenbei. Was war das noch? Verdammt, ich habe es
vergessen und auch nicht in die Wunschliste eingetragen, oder ein
Computerabsturz hat den Eintrag wieder ausgetragen. Sie auf meine Anfrage recht
schnippisch – und objektiv gesehen nicht völlig grundlos –: „Ach, fällt dir mal
wieder mal nichts ein?“
Unverschämtheit werde ich denken und – wie aus einer Pistole geschossen –
entgegnen und
dabei so
beleidigt wie möglich aus der Wäsche gucken: „Bisher ist mir immer noch was
eingefallen, oder? …“ Pause … Ich suche krampfhaft nach einer passenden
Erklärung.
„Ich will
doch nur wissen, ob außer dem, was ich als liebender Gatte bereits ins Auge
gefasst habe, vielleicht noch ein klitzekleiner Wunsch offen ist“, werde ich
dann unter Aufbietung all meiner schauspielerischen Talente, von denen mir nicht
gerade wenige nachgesagt werden, verlauten lassen mit der Überzeugungskraft
eines Politikers, und ich hoffe – wahrscheinlich vergeblich -, dass meine
hinterlistige Frage bei ihr an der richtigen Stelle ankommt.
„Nein,
nichts“, wird sie kurz und bündig sagen, das Thema abrupt beenden und mich im
Regen stehen lassen, selbst wenn es gar nicht regnet. Sie freue sich auf eine
liebe, kleine Überraschung, bei anderen sei ich doch auch stets so kreativ.
Schitt! Ein Fehler! Warum mache ich nur immer wieder dieselben Patzer, frage ich
mich, ohne eine Antwort zu erhalten. Der Druck wird groß und größer! Ich spüre
ihn geradezu körperlich, und wie ich ihn spüre!
Ich kaufe
jetzt erstmal kleinere Dinge. Für Onkel, Tanten, danach die schon etwas
schwierigeren, für meine Schwiegereltern beispielsweise. Für den Sohn sorgt
meine Frau – irgendetwas kann sie zur Lösung der Probleme schließlich auch
beitragen! –, für unsere Tochter ebenso. Doch für meine Angetraute bleibe ich
natürlich mit all meinen unentdeckten Talenten selbst zuständig, und zudem noch
völlig allein. Womit habe ich das alles nur verdient? Nichts davon stand im
Ehevertrag, und niemand hat mich seinerzeit vorgewarnt.
Ich laufe
durch die Geschäfte. Auf der Suche nach Inspiration oder wie das so heißt. Hab
immer noch keine Idee. Mein Kopf – oder was da drin ist oder sein sollte – macht
einfach nicht mit. Zudem werde ich ständig abgelenkt. Dauernd hängt mir meine
Beste in den Ohren: „Wo willst du denn dieses Jahr den Weihnachtsbaum kaufen? …
Und hast du geguckt, ob wir noch genügend Wein im Keller haben? Schließlich
kommen meine Eltern!“
Als ob ihre
Eltern Alkoholiker wären! Ich schaue meine Frau missbilligend, aber
vorsichtshalber wortlos an.
Und dann fragt
sie noch reichlich scheinheilig: „Hast du denn sonst schon alles?“
Nach dieser
Frage werde ich sie an unseren Meineid erinnern, doch sie wird – wie immer in
den belangvollen Fragen des Lebens – ihre Ohren auf Durchzug gestellt haben.
Unschlüssig
wie selten – so kam es mir jedenfalls vor – irrte ich dieses Jahr durch Läden
und Geschäfte. Was da alles so angeboten wurde! Alles und nichts. Vor allem das
Letztere half mir kaum weiter. Doch dann überfiel mich eine Erleuchtung! Ich
ging so – weder Gutes, erst recht nicht Böses ahnend – durch einen Baumarkt. Aus
allen Lautsprechern säuselte es „Leise rieselt
der Kalk“,
überall festbeleuchtete Christbäume in allen Ecken, da konnte selbst ich mich
gegen Erleuchtungen kaum noch wehren. Ich schlenderte also frohen Mutes da an
den Regalen längst, kam in die Werkzeugabteilung, mein Blick fiel – wie
ferngesteuert – auf die Bohrmaschinen, und
da kam’s mir.
Ich meine natürlich die Idee! „Eine Schlagbohrmaschine schenke ich ihr! Das ist
die Lösung schlechthin!“, enträtselte ich meinen spontanen Entschluss. Denn
immer, wenn ich vor
der Glotze
sitze und die Siege von Schalke bejubeln will, kommt meine bessere Hälfte daher
und will was gebohrt haben. Eine günstigere Zeit fällt ihr für solche
Obliegenheiten nie ein. Und unsere alte Bohrmaschine ist kaputt oder der Stecker
von ihr oder was auch immer, und ich mache das dann immer mit der Hand, das
Bohren meine ich und nicht was niederträchtige Leser jetzt vielleicht denken
könnten! Ich entschloss mich auf der Stelle: „Ich schenke ihr einfach eine neue
elektrische Bohrmaschine, dann kann sie nächstens wieder selber bohren, so viel,
wie sie will und auch wann sie will, zumal sie solche Tätigkeiten sowieso
bedeutend besser beherrscht als ich,
ich eher fürs
Organisieren geeignet bin.“ Einmal habe ich wegen dem Bohren sogar das Siegtor
von Schalke
verpasst! War ich sauer damals, hab’s bis heute nicht vergessen.
Also … ein
richtiges Glücksgefühl übermannte mich plötzlich und erwärmte mein Herz, als die
Idee in meinem Kopf eintraf und dort selbst Platz nahm, und ich kaufte schnell
eine, bevor sie alle weg waren, wegen dem Sonderangebot zu Weihnachten. Stolz
fuhr ich mit dem Paket nach Hause und versteckte es, so gut es ging, im Keller.
Jetzt kann mir
nicht mehr viel passieren, eigentlich gar nichts mehr. Dachte ich zumindest.
Doch zur Abrundung meiner Weihnachtsgeschichte muss ich erwähnen: Vor ein paar
Tagen sah ich meine Beste sich – vorsichtig nach allen Seiten spähend, damit die
gesamte Wohnanlage mitbekam, was sie unter dem Arm trug – mit einem Paket ans
Haus anschleichen, das seither
nun ebenfalls
im Keller steht. So ein langes, schmales, eine Seite glatt, an der anderen
kannst du
was fühlen, so
was wie ein Gestell. Ich frage mich, was ist das wohl?, und finde nur eine
Antwort:
ein
Bügelbrett! Und sogar richtig schön in Weihnachtspapier mit Sternchen
eingepackt? Was Gescheiteres will mir nicht in den Sinn kommen. Will meine
Allerbeste mir dieses Gerät etwa schenken? Mit der hinterlistigen Überlegung
wie „Wenn er schon am Glotze gucken ist, kann er wenigstens seine Buchsen selber
bügeln!“ Wenn ich das könnte, könnte ich das vielleicht ja wirklich, aber: Ich
kann es nicht, darauf hat mich das Leben nicht vorbereitet, und mit welcher Hand
soll ich denn das Bügeleisen halten, wenn ich schon eine für mein Pilsglas und
die andere
für die
Erdnüsse benötige, was ja bekanntlich beim Fernsehen unverzichtbar ist?
Wenn dieses
Geschenk wirklich für mich ist, wovon ich mittlerweile felsenfest überzeugt bin,
dann bekommt meine Verehrteste im nächsten Jahr noch eine Schleifmaschine dazu,
erstens weil sie unglaublich gerne Möbel schleift, und zweitens weil ich dann
endlich mal bereits vor Januar das Weihnachtsproblem vom Hals habe.
Das Ganze
hätte sogar noch einen weiteren und unschätzbaren Vorteil: Einen Herzinfarkt
werde ich in dem Jahr mit Sicherheit nicht bekommen! Weil ich, ja weil ich das
Problem des Jahres
bereits gelöst
habe, bevor es überhaupt entstanden ist.
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