Startseite

Gedichte

Kurzgeschichten

Autoren
►  Bär, Christine
►  Bansen, Bruno
►  Büchler, Helmut
►  Hadulla, Werner
►  Hasse, Wilhelm
►  Hohmann, Ulli
►  Karst, Claus
►  Kieber, Jutta
►  Kriegler, Harald
►  Menard, Lutz
►  Mößner, Bernhard
►  Müller, Hendrik
►  Paffrath, Günther
►  Possehl, René M.
►  Spröhr, Inge

Karikaturen

FORUM

LESERMEINUNG

Kontakt

Impressum

Autorentreffen

KlapphornClique

 

Erzählungen von Claus Karst

 
Seite Satire Intermezzi Erotik Kindergeschichten      

 

 

 

 

Alle Jahre wieder ...

 

Alle Jahre wieder stehe ich vor dem gleichen Problem, und ich mutmaße, dass der größte Teil meiner Leserschaft meine Nöte nachfühlen kann. Jahr für Jahr hat dieses Problem an meinem Seelenfrieden genagt, hat mich wochenlang meinen wohl verdienten Schlaf gekostet. Doch

dieses Jahr … dieses Jahr kann ich mich mit stolz geschwellter Brust und völlig entspannt in meinem Fernsehsessel zurücklehnen: Das Problem ist vom Tisch!

 

 Wochenlang, wenn im Spätsommer die ersten Nikoläuse durch die Straßen latschten und sich unter ihren Fracks dem Herzinfarkt nahe schwitzen und die Reste der Osterhasen in den Regalen der Geschäfte auf wundersame Weise in Weihnachtsmänner mutiert sind, fangen meine Gedanken an, sich erfolglos der unlösbaren Aufgabe zu widmen. Nichts will mir Sinniges einfallen, wenn ich

an Weihnachten und die krisenträchtigen Begleitumstände denke. Doch die alljährliche Gefahr ist dieses Mal glorreich gemeistert! Weihnachten mit allen Drum und Dran kann kommen!

 

Obwohl seit zig Jahren eine Vereinbarung in der Familie besteht, dass an Weihnachten keine Geschenke ausgetauscht werden, von wegen „Wir haben doch alles, und wenn wir was brauchen, kaufen wir es eben“, werden alle Lieben bedacht, damit nur niemand hinterher ein dummes

Gesicht machen und uns allen die Feiertage verderben kann. Das Problem aller Probleme für dieses Jahr habe ich gelöst, und jetzt ist erst einmal Ruhe, mindestens bis nächstes Jahr Weihnachten, abgesehen von den Geburts-, Namens- und Hochzeitstagen, Jubiläen und was sonst noch anliegt, wo sich aber meistens meine Frau drum kümmert, die ich schließlich eigens und auch wegen solcher Arbeitsteilungen geheiratet habe.

 

Warum ließ ich meine Familie eigentlich vor Jahren einen Meineid schwören, womit auch noch alle einverstanden waren?, habe ich mich oft gefragt. Keine Geschenke mehr zu Weihnachten! Alle hatten nämlich schon lange gemerkt, dass Weihnachten ein Fest der Wirtschaft oder des Handel ist, die alle nur an unsere sauer verdiente Kohle wollen. Gut, da gibt es zwar noch den Romantikaspekt, der an die Seelen rührt oder auch an die Herzen … Aber an die Geschichte mit dem heiligen Geist, der die Jungfrau angebaggert hat, glaube ich schon ewig nicht mehr, schon seit der Zeit, als ich den Kindergarten verließ. Die Geschichte passte nie so recht in meine Vorstellungswelt, und deshalb fehlt mir vielleicht auch ein wenig der Zugang zu dem Geschehen.

 

Ich weiß zwar nicht mehr ganz genau, in welchem Jahr unser Familienentschluss gefasst wurde, doch an das Ergebnis kann ich mich noch gut erinnern: In keinem Jahr waren die Geschenkpakete größer und wertvoller als im Jahr des Meineids. Etliche Jahre Gefängnis hätten wir als einzig verdiente Strafe für diese Verfehlung erhalten müssen, hätten wir damals einen Ankläger gefunden. Haben wir aber zum Glück nicht. Die Päckchen sind inzwischen zumindest wieder eine Dimension kleiner geworden, so hat der Schwur also doch ein bisschen was genützt. Heutzutage wird jedes Familienmitglied argwöhnisch beäugt, je näher das nächste Weihnachtsfest heranrückt. Wird da vielleicht heimlich ein Geschenk in die Wohnung geschmuggelt, das dann auch noch versteckt wird wie die Eier an Ostern? Wie groß war das Päckchen? Muss ich nun über eine mögliche Revanche nachgrübeln? Jedes Jahr das gleiche Dilemma! Warum tun wir uns das an?

 

Mit den Jahren bin ich schlauer geworden. Schlau wie die Igel, die den Hasen beim Wettlauf alleine rennen ließen und dennoch immer als Erste ins Ziel gelangten. Jedes Jahr fange ich mittlerweile mit dem besten aller guten Vorsätze an – zum wievielten Male eigentlich? –:

„Fang früher mit den Einkaufen der Weihnachtsgeschenke an, am besten schon vor Neujahr,

und nicht erst kurz vor dem Fest, Heiligabend morgens!“, ordne ich mir gegenüber an,

„du verteilst dieses Mal das schwierige Werk des Geschenke Sammelns übers ganze Jahr!

Hier mal was mitnehmen, dort schon einmal was ausgucken oder sogar bestellen. Ganz locker – cool, wie das heute so heißt im neudeutschen Sprachgebrauch – gehst du die Sache an.“ In meinem Computer habe ich eigens ein paar Dateien angelegt mit viel sagenden Namen wie „Wunschzettel“. Warum diese Dateien kurz vor Weihnachten gewöhnlich so nichts sagend leer sind, muss wohl an den Computerabstürzen während des Jahres liegen. Eine andere Erklärung kommt mir jedenfalls nicht in den Sinn, wenn ich in die Dateien schaue und unbeschriebene

Seiten vorfinde.

 

Nun denn … es vergehen gewöhnlich die ersten Wochen des Jahres und noch ein paar, und Monate auch. Weihnachten habe ich voll im Griff, denke ich, das heißt, ich denke eher überhaupt nicht an Weihnachten. Bis Weihnachten ist’s ja noch sooo lang hin!

 

Doch nach den Sommerferien werden bereits die ersten unübersehbaren Fingerzeige sichtbar:

In den Geschäften sind bereits wieder die ersten Nikoläuse aus Schokolade käuflich zu erwerben. Schon siehst du in den Regalen Weihnachtsmänner, die zeitgemäß mit den Hüften wackeln und amerikanische Weihnachtslieder krähen können, Unsitten die mitsamt der Quäkerspeise nach dem Krieg Deutschland erreicht haben. Richtig gefährlich wird es, wenn mich meine alte Mutter anruft und mich fragt: „Junge, was wünschst du dir denn dieses Jahr zu Weihnachten?“, und obwohl ich seit Jahren weiß, dass ich eine kleine Flasche Schinkenhäger bekommen werde – mehr lässt ihre Rente nicht mehr zu –, die für meinen Schwager bestimmt ist, weil sie meine Wünsche ständig

mit denen meines Schwagers verwechselt, der dafür im Gegenzug meine Mon Chérie erhält. Jedenfalls plant sie genauso gerne wie unaufhörlich, zumal sie inzwischen das 97. Lebensjahr erreicht hat und ständig fürchtet, das nächste Fest nicht mehr zu erleben, zumindest nicht oberhalb der oft zitierten Grasnarben, was ich mir bei ihrer robusten Gesundheit aber nicht im Geringsten vorstellen kann. Nach solch einem Gespräch kommt immer ein merkwürdiges Gefühl in mir hoch, Fragezeichen bauen sich vor meinen Augen auf. Weihnachten! Schon will man wissen, was ich mir dieses Mal wünsche. Ist es schon wieder so weit? Eigentlich habe ich nur den einen Wunsch: dass Weihnachten gar nicht erst auf mich zukommt, am besten gar nicht mehr stattfindet, wenigstens die nächsten fünfzig Jahre nicht mehr.

 

Noch drei Monate! Anfang Oktober: Kataloge werden gesammelt. Langsam – und mit jedem Tag mehr – wird es ernst! Neckermann, Quelle, MediaMarkt, den zu betreten ich mich jedoch wegen seiner saublöden Werbung weigere, und was es alles sonst noch an Anbietern von mehr oder weniger nutzlosem Zeugs so gibt. Tausend Angebote und Ideen im Internet, die einen

wochenlang um den Schlaf bringen werden. Espresso-Geräte, von führenden Designern

entworfen, Radiowecker, die dich wecken, außer du stellst sie nicht an, und aller möglicher anderer Schrott, den kein Schwein braucht. „Zur Not wirst du schon noch was bekommen,

Einfälle hattest du doch schließlich immer noch genug“, beruhige ich mich immer und immer

wieder ...

 

Der Dezember erscheint im Kalender. Warum habe ich nur ausgerechnet in diesem Monat immer

so viel Arbeit? Eines Abends werde ich mich aufraffen und versuchen, meine Frau vorsichtig und so hintenherum wie möglich auszufragen, welche Kleinigkeit sie sich denn so zu Weihnachten wünsche. Vielleicht habe ich ja Glück, hoffe ich, und sie beantwortet meine Anfrage sogar. Im September hat sie mal was durchblicken lassen, so ganz nebenbei. Was war das noch? Verdammt, ich habe es vergessen und auch nicht in die Wunschliste eingetragen, oder ein Computerabsturz hat den Eintrag wieder ausgetragen. Sie auf meine Anfrage recht schnippisch – und objektiv gesehen nicht völlig grundlos –: „Ach, fällt dir mal wieder mal nichts ein?“

 

Unverschämtheit werde ich denken und – wie aus einer Pistole geschossen – entgegnen und

dabei so beleidigt wie möglich aus der Wäsche gucken: „Bisher ist mir immer noch was eingefallen, oder? …“ Pause … Ich suche krampfhaft nach einer passenden Erklärung.

 

„Ich  will doch nur wissen, ob außer dem, was ich als liebender Gatte bereits ins Auge gefasst habe, vielleicht noch ein klitzekleiner Wunsch offen ist“, werde ich dann unter Aufbietung all meiner schauspielerischen Talente, von denen mir nicht gerade wenige nachgesagt werden, verlauten lassen mit der  Überzeugungskraft eines Politikers, und ich hoffe – wahrscheinlich vergeblich -, dass meine hinterlistige Frage bei ihr an der richtigen Stelle ankommt. 

 

„Nein, nichts“, wird sie kurz und bündig sagen, das Thema abrupt beenden und mich im Regen stehen lassen, selbst wenn es gar nicht regnet. Sie freue sich auf eine liebe, kleine Überraschung, bei anderen sei ich doch auch stets so kreativ. Schitt! Ein Fehler! Warum mache ich nur immer wieder dieselben Patzer, frage ich mich, ohne eine Antwort zu erhalten. Der Druck wird groß und größer! Ich spüre ihn geradezu körperlich, und wie ich ihn spüre!

 

Ich kaufe jetzt erstmal kleinere Dinge. Für Onkel, Tanten, danach die schon etwas schwierigeren, für meine Schwiegereltern beispielsweise. Für den Sohn sorgt meine Frau – irgendetwas kann sie zur Lösung der Probleme schließlich auch beitragen! –, für unsere Tochter ebenso. Doch für meine Angetraute bleibe ich natürlich mit all meinen unentdeckten Talenten selbst zuständig, und zudem noch völlig allein. Womit habe ich das alles nur verdient? Nichts davon stand im Ehevertrag, und niemand hat mich seinerzeit vorgewarnt.

 

Ich laufe durch die Geschäfte. Auf der Suche nach Inspiration oder wie das so heißt. Hab immer noch keine Idee. Mein Kopf – oder was da drin ist oder sein sollte – macht einfach nicht mit. Zudem werde ich ständig abgelenkt. Dauernd hängt mir meine Beste in den Ohren: „Wo willst du denn dieses Jahr den Weihnachtsbaum kaufen? … Und hast du geguckt, ob wir noch genügend Wein im Keller haben? Schließlich kommen meine Eltern!“

 

Als ob ihre Eltern Alkoholiker wären! Ich schaue meine Frau missbilligend, aber vorsichtshalber wortlos an.

Und dann fragt sie noch reichlich scheinheilig: „Hast du denn sonst schon alles?“

Nach dieser Frage werde ich sie an unseren Meineid erinnern, doch sie wird – wie immer in den belangvollen Fragen des Lebens – ihre Ohren auf Durchzug gestellt haben.

 

Unschlüssig wie selten – so kam es mir jedenfalls vor – irrte ich dieses Jahr durch Läden und Geschäfte. Was da alles so angeboten wurde! Alles und nichts. Vor allem das Letztere half mir kaum weiter. Doch dann überfiel mich eine Erleuchtung! Ich ging so – weder Gutes, erst recht nicht Böses ahnend – durch einen Baumarkt. Aus allen Lautsprechern säuselte es „Leise rieselt

der Kalk“, überall festbeleuchtete Christbäume in allen Ecken, da konnte selbst ich mich gegen Erleuchtungen kaum noch wehren. Ich schlenderte also frohen Mutes da an den Regalen längst, kam in die Werkzeugabteilung, mein Blick fiel – wie ferngesteuert – auf die Bohrmaschinen, und

da kam’s mir. Ich meine natürlich die Idee! „Eine Schlagbohrmaschine schenke ich ihr! Das ist die Lösung schlechthin!“, enträtselte ich meinen spontanen Entschluss. Denn immer, wenn ich vor

der Glotze sitze und die Siege von Schalke bejubeln will, kommt meine bessere Hälfte daher und will was gebohrt haben. Eine günstigere Zeit fällt ihr für solche Obliegenheiten nie ein. Und unsere alte Bohrmaschine ist kaputt oder der Stecker von ihr oder was auch immer, und ich mache das dann immer mit der Hand, das Bohren meine ich und nicht was niederträchtige Leser jetzt vielleicht denken könnten! Ich entschloss mich auf der Stelle: „Ich schenke ihr einfach eine neue elektrische Bohrmaschine, dann kann sie nächstens wieder selber bohren, so viel, wie sie will und auch wann sie will, zumal sie solche Tätigkeiten sowieso bedeutend besser beherrscht als ich,

ich eher fürs Organisieren geeignet bin.“ Einmal habe ich wegen dem Bohren sogar das Siegtor

von Schalke verpasst! War ich sauer damals, hab’s bis heute nicht vergessen.

 

Also … ein richtiges Glücksgefühl übermannte mich plötzlich und erwärmte mein Herz, als die Idee in meinem Kopf eintraf und dort selbst Platz nahm, und ich kaufte schnell eine, bevor sie alle weg waren, wegen dem Sonderangebot zu Weihnachten. Stolz fuhr ich mit dem Paket nach Hause und versteckte es, so gut es ging, im Keller.

 

Jetzt kann mir nicht mehr viel passieren, eigentlich gar nichts mehr. Dachte ich zumindest. Doch zur Abrundung meiner Weihnachtsgeschichte muss ich erwähnen: Vor ein paar Tagen sah ich meine Beste sich – vorsichtig nach allen Seiten spähend, damit die gesamte Wohnanlage mitbekam, was sie unter dem Arm trug – mit einem Paket ans Haus anschleichen, das seither

nun ebenfalls im Keller steht. So ein langes, schmales, eine Seite glatt, an der anderen kannst du

was fühlen, so was wie ein Gestell. Ich frage mich, was ist das wohl?, und finde nur eine Antwort:

ein Bügelbrett! Und sogar richtig schön in Weihnachtspapier mit Sternchen eingepackt? Was Gescheiteres will mir nicht in den Sinn kommen. Will meine Allerbeste mir dieses Gerät etwa schenken? Mit der  hinterlistigen Überlegung wie „Wenn er schon am Glotze gucken ist, kann er wenigstens seine Buchsen selber bügeln!“ Wenn ich das könnte, könnte ich das vielleicht ja wirklich, aber: Ich kann es nicht, darauf hat mich das Leben nicht vorbereitet, und mit welcher Hand soll ich denn das Bügeleisen halten, wenn ich schon eine für mein Pilsglas und die andere

für die Erdnüsse benötige, was ja bekanntlich beim Fernsehen unverzichtbar ist?

 

Wenn dieses Geschenk wirklich für mich ist, wovon ich mittlerweile felsenfest überzeugt bin, dann bekommt meine Verehrteste im nächsten Jahr noch eine Schleifmaschine dazu, erstens weil sie unglaublich gerne Möbel schleift, und zweitens weil ich dann endlich mal  bereits vor Januar das Weihnachtsproblem vom Hals habe.

 

Das Ganze hätte sogar noch einen weiteren und unschätzbaren Vorteil: Einen Herzinfarkt werde ich in dem Jahr mit Sicherheit nicht bekommen! Weil ich, ja weil ich das Problem des Jahres

bereits gelöst habe, bevor es überhaupt entstanden ist.

 

 


 nächste Satire Seite -2-