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Luftangriffe aus dem Nichts
(Ein wahres Heldenepos... allerdings in Kurzform )
Mein Freund Ami und ich hatten uns nach
längerer Zeit wieder einmal zu einem Schachabend getroffen. Doch die Partie
wollte nicht so recht vorankommen, was ein schachkundiger Beobachter bei zwei
unterdurchschnittlichen Spielern wie uns beiden auch mit Recht kaum erwarten
dürfte. Daher einigten wir uns schon frühzeitig auf ein Remis, womit wir beide
gut leben konnten und uns den Abend nicht versauten. Zum Ausgleich gedachten
wir, uns mit größtmöglicher Konzentration einer oder auch mehreren Flaschen
Rotweins und einem interessanten Gespräch zu widmen, einer Disziplin, die wir
etwas besser als das Schachspiel beherrschten. Damit wir und unser Gespräch beim
Trinken nicht allzu früh Gefahr liefen, ins Stocken zu geraten, fragte ich ihn
so beiläufig wie nur möglich, ob er denn nicht auf seiner Türkeireise, von der
er gerade erst zurückgekehrt war, etwas Aufregendes erlebt habe.
Mit dieser Frage hatte ich - ohne bestimmten Ahnungen zu unterliegen - voll ins
Schwarze getroffen! Sofort starrte aus seiner Miene unrühmliches Entsetzen,
seine Augen flatterten, als sähen sie Furcht erregende Dinge, dem sich um seinen
Mundwinkel herum jedoch unverkennbar ein verzerrtes Grinsen hinzu gesellte, was
insgesamt einen reichlich unharmonischen Ausdruck vermittelte. Einflechten
sollte ich sofort zum besseren Verständnis, dass Ami allgemein als ein Typ gilt,
der sich in allen Lebenslagen durch entschlossenes Handeln zu helfen weiß und
mit den Unbilden, die das Leben für ihn bereithält, locker fertig wird.
Ich, der ich Ami seit seiner Kindheit kenne, weiß allerdings, dass sich hinter
seiner Fassade eine Kehr- oder Schattenseite verbirgt, die er jedoch immer
wieder geschickt zu kaschieren weiß. In der Haut des weltgewandten Draufgängers
befindet sich ein völlig anderer Mensch. So manche seiner Abenteuer, die er mir
unter vier Augen und mit nicht mehr völlig kontrollierter Nüchternheit beim Wein
erzählt hat, würden in seinem Umfeld nur auf ungläubiges Erstaunen stoßen.
Hinter seiner rauen Schale nämlich verbirgt sich ein feinfühliger Zeitgenosse,
der vor allem vor Gewaltanwendung jeglicher Art einen Abscheu aus tiefstem
Herzen empfindet, was dazu führt, dass er im wahrsten Sinne des Wortes keiner
Fliege etwas zu Leide tun kann, ein - objektiv gesehen - durchaus positiver
Wesenszug, der aber überaus unliebsame Folgen zeitigen kann. Die nachstehende
Geschichte liefert den Beweis für diese Deutung.
Ami: „Ja, ich habe etwas geradezu Unglaubliches erlebt, und ich will dir die
Ereignisse auch nicht vorenthalten, stellen sie doch die Tapferkeit des Mannes
im Allgemeinen und die des deutschen im Besonderen unter Beweis. Bist du
interessiert?“
Und ob ich interessiert war! Ami konnte ausgesprochen spannend erzählen, und er
hat mir schon manchen Stoff für meine Geschichten geliefert.
„Eigentlich fing alles ganz harmlos und zudem unverfänglich an. Die zu
schildernden Ereignisse hätten sich überall so oder ähnlich abspielen können. Es
musste also nicht zwangsläufig Istanbul sein“, begann er. „Mein Freund Ercan
hatte mich zum Essen eingeladen. Er führte mich in eines dieser wirklich
empfehlenswerten Restaurants am Bosporus. Wir ließen uns ein paar wunderbare
Fische zubereiten und aßen - fraßen würde unsere Orgie präziser darstellen - uns
so richtig kreuz und quer durch die bemerkenswerte türkische Kochkunst. Außerdem
nutzte Ercan die Gelegenheit, mir die verschiedensten Weine türkischer
Provenienzen schmackhaft zu machen. So blieb es nicht aus, dass wir nicht nur
satt sondern auch immer lustiger wurden, um unseren Zustand so schmeichelhaft
wie nur möglich zu beschreiben. Ich geb's zu, mir war schon ein wenig schwindlig
im Kopf und in den Knien nicht weniger, erst recht, als Ercan mich nach unserem
Gelage in seinem verbeulten Fiat hoch zum Hilton brachte. Sein Fiat muss nämlich
während des Essens von Unbekannten getunt und mit zusätzlich mindestens 185 PS
nachgerüstet worden sein. Anders sind die rasanten Fahrleistungen, dabei
jegliche Verkehrsregeln missachtend, nicht zu erklären, die sein Motor nunmehr
auf die restlos abgefahrenen Pneus brachte. Ich war jedenfalls heilfroh, lebend
in meinem Hotel angekommen zu sein, und entschuldigte mich bei Ercan für den
Rest des Tages, um mich erst einmal von den vorangegangenen Strapazen zu erholen
…
In meinem Zimmer angekommen, machten meine Beine mich mit gebührender
Deutlichkeit mit der Tatsache vertraut, dass sie nicht mehr willig oder auch in
der Lage waren, mich aufrecht gehen oder stehen zu lassen. Außerdem gebärdete
sich mein Magen plötzlich und ohne weitere Vorwarnung recht rebellisch, sodass
ich vorsichtshalber erst einmal Bekanntschaft mit einem original türkischen
Klosett machte, das aus mir unerfindlichen Gründen bis zum Rand mit Wasser
gefüllt war und mich erstmals in meinem Leben mit einer Unzahl Sommersprossen im
Gesicht versah. Nach dieser Bekanntschaft mit der mir bis dato unbekannten
Badkultur des Orients ließ ich mich auf mein Bett fallen, das sofort freudig
anfing zu schwanken wie ein Boot bei heftigem Seegang und mit mir durch den Raum
schwebte wie ein Luftschiff bei Wirbelwinden. Ich fühlte mich landesgemäß
natürlich eher auf einem Teppich durch die Lüfte düsen - so weit funktionierte
mein Verstand zumindest noch - und verstand in diesem Augenblick die schönen
Märchen aus tausend und einer Nacht besser denn je, wenn auch mein Gehirn
wahrscheinlich auf einen Beobachter einen ziemlich ausgeschalteten Eindruck
hinterlassen hätte. Auch gebe ich freimütig und ohne jeden äußerlichen Druck zu,
dass der zum Essen reichlich genossene Wein bei mir spürbare Wirkung zeigte,
eine Eigenschaft, die Alkohol jeglicher Art hin und wieder hervorruft. Dennoch
gelang es mir, ein wenig einzudösen, und ich bekam daher anfangs gar nicht mit,
welche Schrecken sich in meinem Zimmer zusammen
brauten …“
Pause. Entsetzen in seinen Augen, die mich an Kinderaugen erinnerten, die zum
ersten Mal einen Horrorfilm sehen.
„… Denn plötzlich weckte mich im Unterbewusstsein ein Brummen, das immer stärker
anschwoll wie das Geräusch eines Düsenjägers beim Start. Es drang in meine
Ohren, entfernte sich wieder, schwoll wieder an und störte meine Ruhe
empfindlichst. Alarmiert öffneten sich meine Augen zumindest einen Spalt breit
und blinzelten im Raum herum auf der Suche nach der Ursache für die Störung,
wurden jedoch der sich anbahnenden Gefahr nicht augenblicklich gewahr. Doch dann
erblickte ich den Störenfried: eine prall gefüllte Winterfliege, so dachte ich
zumindest, von einer unvorstellbaren Größe, riesig die Spannweite ihrer Flügel,
und aus den Augen, groß wie Flugzeugkanzeln, funkelte heimtückische
Bösartigkeit, die mein Blut gefrieren ließ. Im Inneren dieses Ungeheuers musste
ich eine Waffentechnik vermuten, gegen die die Wirksamkeit einer H-Bombe nicht
mehr als ein Silvesterfeuerwerk darstellte. Ich war mir plötzlich alles andere
als sicher, es hier mit Stubenfliegen zu tun zu haben, vor allem, als sich ein
weiterer Brummer dieses entsetzlichen Kalibers den Flugübungen anschloss. Mir
wurde bewusst, diese Eindringlinge konnten keine Stubenfliegen sondern nur
Stubenbomber oder eine völlig neue, unter höchster Geheimhaltung entwickelte
Waffe sein, die zur Erprobung in mein Zimmer geschleust worden war, um sie
vielleicht später gegen kurdische Separatisten zum Einsatz zu bringen. Diese
Bombern ähnelnden Überfliegen umkreisten mich penetrant, wobei sie zu meinem
Schrecken die Warteschleifen immer enger zogen und unverkennbar einen ersten
Landeversuch vorbereiteten. Ich schlug um mich - mich in einer plötzlichen
Eingebung an die bewährte Tapferkeit der Spezies Mann und Krieger erinnernd -,
beeindruckte die Piloten meiner Widersacher damit jedoch in keinster Weise. Im
Gegenteil: eine der beiden Kontrahenten landete, ohne um meine ausdrückliche
Erlaubnis nachgesucht zu haben, mitten auf meiner Nase. Ich versuchte selbigen
zwar durch die verschiedensten Zuckungen meiner Gesichtsmuskulatur, vor allem
aber - meiner tiefsten Überzeugung in solchen Gefahrenmomenten gehorchend -
durch gutes Zureden zu verscheuchen, was allerdings zu keinem nennenswerten
Erfolg führte. Offensichtlich war die Fliege nämlich nur der türkischen oder
welcher Sprache auch immer, nicht aber der deutschen oder englischen, mächtig,
was in einem Hotel internationaler Spitzenklasse und erst recht im Flugverkehr
eigentlich nicht erlaubt sein dürfte. Trotz meiner Abwehrversuche wuchs die
Zuneigung, die sie mir entgegenbrachte mit einer geradezu außergewöhnlichen
Aufdringlichkeit, was bei mir jedoch aus verständlichen Gründen auf äußerst
geringe Gegenliebe stieß. Sie ließ sich - kurz gesagt - durch rein gar nichts,
am wenigsten durch meine Bemühungen zum Weiterflug bewegen. Nach unendlich
langen Sekunden startete sie schließlich doch wieder durch, ohne vorerst
weiteren Flurschaden anzurichten, dafür jedoch einen Haufen Panik in meinem
lädierten Kopf hinterlassend.
Mir wurde mehr und mehr bewusst, dass ich hier von Feinden umgeben war, denn,
obwohl Gast in einem als besonders gastfreundlich anerkannten Lande, konnte ich
bei den beiden unerwünschten Zimmergenossen keinerlei Absichten der
freundschaftlichen Art erkennen. Ich versuchte, alle meine Sinne zusammen zu
nehmen und meinen Verstand ebenfalls, auf den ich gewöhnlich ziemlich stolz bin,
in Gang zu setzen. Schließlich befand ich mich allem Anschein nach unvermittelt
in einer Art Kriegszustand, obwohl niemand mir den Krieg erklärt hatte, was
allerdings heutzutage dem Anschein nach auch nicht mehr üblich ist, besonders,
wenn die Amerikaner daran beteiligt sind. Bedauerlicherweise war die Herkunft
der Aggressoren nicht auszumachen, und es blieb völlig im Dunkeln, obwohl ein
helllichter Tag durchs Fenster schien, ob sie nun zur türkischen Luftwaffe oder
zu einer anderen Macht gehörten, denn ich konnte keine Hoheitszeichen erkennen.
Das ließ mich vermuten, als Zielscheibe einer geheimnisvollen Macht,
wahrscheinlich irgendwelcher Terroristen, die sich Istanbul als Spielwiese
ausgesucht hatten, auserkoren worden zu sein, oder was noch ärger gewesen wäre,
der der heiligen Inquisition.
Als ich für einen kurzen Moment die Fluggeräte aus den Augen verlor und diese
mich wohl aus dem Hinterhalt beobachteten, weil sie wohl in aller Ruhe und unter
Anwendung einer neuen Strategie - ähnlich der schiefen Schlachtordnung - die
nächste Attacke vorbereiteten oder auch nur nachtankten, nahm ich allen Mut
zusammen, sprang auf und stürmte ins Badezimmer, um mich dort zu
verbarrikadieren. Ich verriegelte die Türe hinter mir und ließ erst einmal
kaltes Wasser ins Waschbecken einlaufen, um darin meinen Kopf zu kühlen. Danach
ging es mir deutlich besser, und ich legte mir verschiedene Taktiken zurecht, um
die bisher größte Herausforderung meines Lebens mit ebensolcher Bravur zu
meistern. Zu diesem Behuf rüstete ich mich mit allen Waffen aus, die die
Waffenkammer des Badezimmers zu bieten hatte, unter anderem und vor allem mit
zwei riesigen Badetüchern, sowie kleineren Handtüchern und Waschlappen. Ich nahm
ein Badetuch in die rechte, das andere in die linke Hand, öffnete, vorsichtig um
mich spähend, die Tür, schlich einen Fuß vor den anderen setzend ins Zimmer
(wohin auch sonst?), wo einer der Bomber unvermittelt und ohne jede weitere
Vorwarnung eine Attacke auf mich startete. Wild mit beiden Handtüchern fuchtelnd
und die wildesten Verwünschungen mit der in diesem Falle gebotenen Lautstärke
ausstoßend, versuchte ich mich zu wehren und übertraf mich - ohne falsche
Bescheidenheit - sogar insoweit selbst, indem ich getreu dem Motto „Angriff ist
die beste Verteidigung“ in denselben überging. Zu meinem Glück war ich mir eher
unbewusst als bewusst darüber im Klaren, dass ich allerdings „so wie Igel sich
paaren“, nämlich mit äußerster Vorsicht, zu Werke gehen musste, um die Bomber
nicht dermaßen zu treffen, dass daraus eine Explosion entstand, die mit
Sicherheit von einem ungeheuren Ausmaß gewesen wäre und den gesamten Stadtteil
zerstört hätte. So machte ich erst einmal viel Wind, um mir auf diese Weise
Respekt zu verschaffen, und sprang über Bett, Sessel, Sofa und Tische auf der
Verfolgung meiner Widersacher. Schmerzlich wurde ich mir dabei der Tatsache
bewusst, dass die Unfähigkeit der menschlichen Lebewesen zu fliegen einen
erheblichen Nachteil gegenüber prall gefüllten Stubenfliegen offenbart, was ich
dem Schöpfer in diesem für mich so schicksalsträchtigen Moment verdammt übel
nahm. Die wilde Verfolgungsjagd, die beide Seiten heldenhafterweise ohne Double
durchführten, hinterließ im Zimmer nach und nach unverkennbar ihre Spuren. Kein
Möbel stand mehr an seinem vorgesehenen Platz. Tisch und Sessel lagen umgekippt
auf dem Boden, der Schirm der Stehlampe war zerbrochen, der Fernseher aus dem
Stecker gerissen, eine Wandlampe hing nur noch an einem Kabel und produzierte
Funken wie ein Feuerwerk, und als Krönung des Kampfes hatte ich mir neben
Prellungen an fast allen Körperteilen eine schmerzhafte Verstauchung des rechten
Fußgelenkes zugezogen, das mehr und mehr anschwoll und meine Beweglichkeit nicht
unerheblich einschränkte.
Irgend etwas veranlasste mich plötzlich, unvermittelt in meinem Blutrausch
innezuhalten, erschrocken und peinlichst berührt über mein mir völlig fremdes,
außer Kontrolle geratenes Verhalten. Ich versuchte meinen Adrenalinspiegel durch
die Feststellung meiner Pulsfrequenz auf das geringstmögliche Höchstmaß zu
reduzieren (mir gelang sogar irgendwie bis 168 zu zählen, bevor ich's aufgab!)
und lauschte … Nichts! Die Bomber waren verstummt oder offensichtlich bestens
getarnt in Deckung gegangen. Ich suchte nach meiner Brille, die in meinen
verschleierten Augen einen ziemlich demolierten Eindruck machte, setzte sie auf,
registrierte entsetzt den angerichteten Schaden und versuchte, die Flieger
aufzuspüren, die ich schließlich - alle Götter dieses Universums seien
gepriesen! - ungeplatzt mitten im Zimmer auf dem Teppich liegend vorfand, schwer
ausgeknockt, Flügel und Fahrwerke, richtiger Beine, von sich gestreckt.
Ich machte mich an die Arbeit, ein wenig aufzuräumen, immer mit einem Auge auf
die Bomber schielend und vorsichtig auf meinem noch gesunden Bein um selbige
herum hüpfend. Dabei verbesserte ich mehrfach meine persönliche Bestleistung im
gemischten Zimmerhochweitsprung mit größeren Hindernissen, wie zum Beispiel
Stubenfliegen, einer Disziplin, die in 12 Jahren, wie dem geschätzten Leser
vielleicht bekannt ist, ins olympische Demonstrationsprogramm aufgenommen werden
soll. Dann stellte ich in meinem immer noch leicht benebelten Kopf Überlegungen
an, wie ich diese Verkehrshindernisse ohne großes Aufsehen und möglichst ohne
Hilfe des Hotelpersonals aus dem Zimmer, zumindest aus dessen Mitte bugsieren
könnte, ohne mein Leben dabei mehr als unnötig in Gefahr zu bringen. Jedenfalls
anfassen, nein igitt, das wollte ich nicht und schaffte es bei allem Mut auch
nicht.
So stattete ich mich schließlich mit Klosettpapier, Kleenex-Tüchern, meinen
Hausschuhen, mehreren Tüten, die den Hotelgästen zur Entsorgung von was auch
immer dienen, einem Abfalleimer sowie einer Zeitschrift mit einer aufregenden
und splitternackten Schönen auf der Titelseite, die ich jedoch kaum wahrnahm,
und schob die Fliegen, eine nach der anderen, millimeterweise - und ohne sie
aufzuwecken! - in die Zimmerecke Richtung Balkontür. Diese zu öffnen und die
Feinde an die von den Braunkohlenheizungen verpestete Luft zu entlassen,
brachte ich allerdings nicht über mein Herz, zumal ich nicht wusste, ob sie nun
tot waren oder
nur so taten, oder ob sie sonst etwas Hinterhältiges im Schilde führten, was zu
vermuten nicht abwegig war. Nach vollbrachtem Werk, das einige Zeit in Anspruch
nahm, legte ich mich schließlich zufrieden, aber verständlicherweise völlig
erschöpft wieder hin, löschte schnell das Licht aus, damit die eventuell aus
ihrem Tiefschlaf erwachenden und frisch aufgetankten Bomber mich gar nicht erst
entdecken konnten, versteckte mich selbst vorsorglich und vollständig unter der
Bettdecke und fiel bald - dem Himmel sei Dank - in einen tiefen Schlaf …“
Mehrere Schlucke Rotwein. Das Entsetzen stand Ami ins Gesicht geschrieben, doch
einmal im Fluss berichtete er weiter:
„… Den Abend und die Nacht verbrachte ich ungestört und traumlos im Schlaf, bis
der
Weckdienst mich am nächsten Morgen daran erinnerte, welche Gründe mich nach
Istanbul
geführt hatten. Mit brummendem Schädel stand ich auf und humpelte ins Bad, wo
mein aus
dem Tiefschlaf erwachendes Gedächtnis mir plötzlich während des Rasierens die
Bomber in meine Erinnerung zurückrief. Ich ließ auf der Stelle alles stehen und
liegen, eilte in die Zimmerecke,
wo ich meine Widersacher vermutete, fand aber dort … nichts und niemanden. Ich
knipste alle Lampen an, so weit sie noch funktionierten, suchte, auf allen
Vieren umherkriechend, in den Ecken und unter den Möbeln, jedoch war kein Bomber
auszumachen. Ich dachte nach. Hatte
ich etwa zu viel getrunken? Hatte ich nur geträumt? Dann aber wurde ich der
zerbrochenen Stehlampe und des herausgerissenen Steckers am Fernseher gewahr,
und mein verstauchter Knöchel grüßte mich ebenfalls auf nachhaltigste Weise.
Nein, ich war bei vollem Bewusstsein! …“
Erneut schüttelte sich Ami vor Entsetzen und selbst mir lief es kalt den Rücken
hinunter.
„…Gestern noch ein Held, überkam mich nun erneut schlimmstmögliche Panik.
Halbseitig rasiert, raffte ich meine Siebensachen zusammen. Ich wollte nicht in
den sicherlich mit aller Raffinesse aufgebauten Hinterhalt meiner Widersacher
geraten und deren wehrloses Opfer werden. Das Leben hatte mich bisher auf solche
Prüfungen nicht vorbereitet, schließlich bin ich ein
anerkannter Wehrdienstverweigerer. Trotz des böse schmerzenden Fußgelenks blieb
mir nichts weiter zu tun als zu handeln, und zwar möglichst schnell. Also
handelte ich. Sachen zusammen raffen, an die Rezeption stürzen und dem
Empfangschef, der natürlich wie alle Empfangschefs unseres Planeten einiges
gewohnt war, durch völlig konfuses Gefasel klarmachen, dass irgendwelche
galaktischen Kräfte mich in meinem Zimmer attackiert und um den Schlaf gebracht
hätten und ich deshalb auf der Stelle ein anderes Zimmer verlange, war innerhalb
der nächsten fünf Minuten erledigt. Selbstredend bestand ich darauf, dass das
Zimmer vorher vom Sicherheitsdienst des Hotels, natürlich unter Aufsicht eines
schnellstens herbeizuschaffenden Sondereinsatzkommandos ausgesuchter
UN-Inspekteure sowie einer internationalen Expertengruppe, die sich auf
modernste und noch nicht im Einsatz befindliche Waffentechnik versteht, auf
ungebetene Untermieter zu untersuchen sei. Der Empfangschef wird mich mit
Sicherheit so schnell wohl nicht vergessen und Allah gedankt haben, dass ihn das
Schicksal im Verlaufe des Tages nicht nur derart beknackte Typen unterkommen
lässt sondern hin und wieder auch einmal einen völlig normalen Menschen, deren
Anzahl er sogar mittels einer Strichliste für seine Memoiren festhielt. Ich war
schon heilfroh, dass ich ihm zur Erklärung meines Dilemmas
nicht den wahren Grund auseinander setzen musste. Als der nämlich was von
Geistern hörte,
hielt er mich wahrscheinlich für übergeschnappt oder besonders gottesfürchtig
und empfahl mich der unendlichen Güte Allahs, der unter seinen Schutzbefohlenen
sicherlich noch ein paar andere Problemfälle außer mir vorliegen hatte.“
So weit Amis Geschichte. Er nahm mir in seiner bekannten Bescheidenheit das
Versprechen ab, niemandem seine Heldentaten weiterzuerzählen. Mir das Schreiben
zu untersagen, hat er versehentlich allerdings vergessen.
Seine Tapferkeit im Angesicht tödlicher Gefahren beeindruckte mich derartig,
dass ich mich schon am nächsten Tag hinsetzte, um das Bundespräsidialamt über
die Vorkommnisse zu unterrichten und meinen Freund Ami für die
verständlicherweise selten verliehene Auszeichnung „Maxipampers am güldnen
Bande“ vorzuschlagen. Bis heute ist allerdings aus Berlin noch keine Reaktion
erfolgt, was mich bei dem derzeitigen Verhältnis der Politiker zu den Bürgern
und umgekehrt nicht wundert.
Sollte Ihnen, liebe Leserin oder lieber Leser, mein Freund Ami einmal über den
Weg laufen, so lassen Sie sich am besten nichts anmerken, denn bei Ami kann man
nie wissen, wie er reagiert. Schließlich hat verletzte Eitelkeit schon oft zu
einer unüberbrückbaren Feindschaft fürs Leben geführt. Ich möchte Ihnen dieses
beredte und vor allem ehrliche Beispiel von der Stärke des starken Geschlechts
aber schon deswegen nicht vorenthalten, da es ein ungefiltertes Licht auf jene
Wesen wirft, die seit Jahrtausenden aus den nichtigsten Anlässen Kriege
gegeneinander führen, weil sie nicht wissen, was sie mit allen ihren
unverbrauchten Kräften anfangen sollen. Weiterer Kommentare will ich mich
vorsichtshalber enthalten. Als Ami mir sein Abenteuer erzählte, empfand ich ein
tiefes Mitgefühl für ihn, allerdings ohne dies etwa zum Ausdruck zu bringen. Das
wäre mir zu peinlich gewesen, und Solidarität - selbst unter Freunden - kann man
schließlich auch übertreiben. Denn: …
… Wenn immer mich meine Frau - seit vielen Jahren im Umgang mit mir mehr oder
auch
weniger vertraut - verzweifelt um Hilfe rufen hört, weiß sie aus langjähriger
Erfahrung im Zusammenleben mit mir, dass mir Gefahr droht von Fliegen, Spinnen,
Wespen oder gar noch größeren Tieren, wo alleine hinzusehen ich mein Herz in
beide Hände nehmen muss. Sofort eilt sie mit mindestens einer Fliegenklatsche
bewaffnet herbei, um mir „mann"haft in meiner Not beizustehen. Dies tut sie ohne
Murren, und sie grinst noch nicht einmal dabei, jedenfalls nicht
so offensichtlich, dass ich etwas davon bemerke. Zeit meines Lebens bin ich
ihr deswegen zu großem Dank verpflichtet.
Mit aller Entschiedenheit verwahre ich mich allerdings dagegen, dass der
vorangegangene
Absatz dergestalt interpretiert werden soll, dass ich die Partnerin des
Mannes (gleich ob Ehefrau, Lebensgefährtin, Freundin oder was es in modernen
Gesellschaftsformen sonst noch gibt) in erster Linie als Ungeziefer
verscheuchenden Bodyguard ihres Erwählten ansehe, so etwa in der Funktion des
Schwanzes bei einer Kuh. Ich weiß durchaus auch andere Freuden und
Annehmlichkeiten im Zusammenleben mit dem anderen Geschlecht zu schätzen, die
ich gerne gegen Rückporto und eine dem Einkommen des Interessenten entsprechende
Gebühr weiterempfehle.
Sollte einer meiner geneigten Leser jedoch auf die Idee kommen, dass mein Freund
Ami gar
nicht existiert, weil niemand freiwillig ein solches ihm widerfahrendes
Abenteuer zum Besten
gibt, so kann ich diese Zweifel durchaus nachempfinden. Deshalb habe ich mich
inzwischen auch damit abgefunden, dass es allen Ernstes Leute gibt, die nach der
Veröffentlichung dieser Geschichte zu der Ansicht gelangt sind, das beschriebene
Ereignis könne nur dem Erzähler selber widerfahren sein. Diesen Leuten kann ich
nur erwidern: „Ihr habt keine Fantasie und seid aus diesem Grunde und mit vollem
Recht keine Geschichtenerzähler!“
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