Schon damals
wünschte ich mir, ich könnte nicht nur die Augen, sondern auch die Ohren
schließen. Später
habe ich das in der Schule ersehnt oder bei Predigten in der Kirche, dann vor
Feldwebeln in der Kaserne und bis zum heutigen Tag bei wortbeschwingten Nachbarn
und Kollegen - von
den Prüfungen am Telefon gar nicht zu reden. Vielleicht habe ich mich
deswegen der
Genetik zugewandt, um es genauer zu sagen, ich bin Humangenetiker geworden.
In mir reifte der
Gedanke, im Labor das nachzuholen, was die Evolution uns Menschen
vorenthalten hat.
Und während andere Forschungsinstitutes sich auf breiter Front allen
vorstellbaren Zukunftsprojekten zuwenden, widme ich mich ausschließlich der
genetischen
Konstruktion von
schützenden Lidern für die Ohren, so wie sie im Tierreich, zum Beispiel
bei Fischottern,
vorkommen.
Vor etlichen Jahren habe ich mit der Implantation von Ottergenen bei besonders
notleidenden
Probanden
begonnen. Erstaunlich, wie viele Freiwillige sich dazu bereit fanden und weiter
finden.
Mein Projekt
erwies sich von Anfang an als recht ermutigend, wenn auch nicht immer
unproblematisch. Proband Nr. 9 zeigte über den Ohren Ansätze von dehnbaren
Liderhäutchen,
zugleich aber
wuchs ihm im unteren Bereich ein haariger Schwanz, wie unsere Ottern ihn beim
Schwimmen zum Steuern einsetzen. Es brauchte dann Dutzende von weiteren
Versuchen,
bis bei Proband
Nr. 55 an beiden Ohren völlig wasserdichte, zugleich gegen akustische Wellen
schützende Lider wuchsen. Seine Frau berichtete mir nach 9-monatiger Behandlung,
dass er viel verträglicher werde, jetzt aber mehrmals täglich in der randvollen
Badewanne läge und davon nicht abzubringen sei.
Viel versprechend sind meine Versuche mit den Genen der Riesenotter Pteronura
brasiliensis.
Sie wirken zur
Zeit in 35 von 100 Fällen, führen allerdings zu groben, ich muss gestehen,
so unschönen
Ohrlidern, dass ich meinen Probanden rate, sich auf buschige Frisuren
einzustellen.
Am unauffälligsten
könnten Frauen solche Lider verbergen, aber leider ist
die einschlägige Genbehandlung bis heute mit einer verstärkten Behaarung am
ganzen Körper
verbunden.
Weibliche Freiwillige waren noch nicht zu gewinnen.
Ich werde noch einige Jahre experimentieren müssen. Doch des endlichen Erfolges
– nämlich
der von
Nebenwirkungen freien Anbringung von Ohrlidern am Menschen - bin ich mir sicher.
Wenn es so weit
ist, werde ich mir selbst Ottergene einpflanzen, und zwar - sollte ich dann
noch über genug
Kopfhaar verfügen – die einschlägigen Erbträger der Riesenotter aus Brasilien.
© 2005 Werner Hadulla