Ja richtig, mit einem Schreibtisch fing es an, mit einem Büroschreibtisch. Wie
war das noch,
als ich in meiner Behörde antrat?
Ich hatte eine Sekretärin, eine Sitzgarnitur, ein Telefon, einen Papierkorb. Das
Wichtigste
fehlte: der Schreibtisch. Er stand zusammen mit dem passenden Schrank zwei
Stockwerke höher.
"Den
bekommen Sie, mit einem strapazierfähigen Kunststoffbelag. Sterzenbach hat
darauf Nüsse geknackt", hatte mir ein Amtsrat des Betriebsbüros eröffnet,
"übrigens ein Ekel, der Sterzenbach.
Wir sind froh, dass er weg ist."
Ob sie nach meiner Pensionierung von mir ähnlich reden werden? Zunächst freilich
musste ich
noch ein paar Jahrzehnte arbeiten. Und dazu braucht man in der Verwaltung mehr
als
anderswo einen Schreibtisch.
"Bringen wir ihn einfach runter", schlug ich meiner Sekretärin vor, "wir können
den Möbellift
nehmen, das Ganze braucht keine fünf Minuten." Sie schüttelte den Kopf: "Wollen
Sie sich mit der Verwaltung anlegen? Der Schreibtisch muss von Referat I/6
freigegeben und den Schreinern transportiert werden." Sie besuchte eine Kollegin
im Betriebsbüro, wo sie erfuhr, dass andere Möbeltransporte Vorrang hatten.
Am nächsten Morgen, dem dritten meiner Behördenlaufbahn, wurde ich zu meinem
Abteilungsleiter zitiert. "Wo bleibt Ihre Aufzeichnung über die Filmpreise?" Er
war Choleriker, man hatte mich vor ihm gewarnt. Rot angelaufen, war er bereit,
mir gute Sitten beizubringen.
"Ich habe keinen Schreibtisch, Herr Ministerialdirektor." Die Röte in seinem
Gesicht verdunkelte
sich um einen Grad: "Wa-a-a-ss, Sie haben keinen Schreibtisch?"
"Die Verwaltung hat mitgeteilt, dass ich erst in ein paar Tagen dran bin.“ Ich
wurde ohne weitere Bemerkung entlassen. Als ich ging, griff er zum Telefon.
"Das ist nicht gut gelaufen." Frau Rammbaum, meine hauserfahrene Sekretärin,
schüttelte
abermals den Kopf: "Wedekind und Smartling können sich nicht riechen." Wedekind
war mein Abteilungsleiter, Smartling sein Pendant an der Spitze der Verwaltung.
"Über Ihren Schreibtisch
streiten jetzt zwei Ministerialdirektoren. Sie werden ihn bald haben, aber die
Verwaltung wird
Ihnen das nie verzeihen."
Tatsächlich steckten kurz darauf zwei korrekt gekleidete, sichtbar erregte
Beamte ihren Kopf
in mein Zimmer, zunächst der Chef des Betriebsbüros, kurz danach sein
Stellvertreter. Eine
halbe Stunde verging, dann erschien ein Drei-Mann-Trupp: "Wir holen Ihren
Schreibtisch.
Wo kommt er hin, und der Schrank?"
Jetzt lief alles so routiniert ab, wie Ämter es lieben. Der Schreibtisch wurde
nach 10 Minuten
auf Rollen angefahren, dann behutsam abgesetzt. 15 Minuten später folgte der
Schrank.
Er wurde mit fachmännischer Sorge aufgestellt, ins Lot gebracht, unter den
Stellwänden verkeilt.
Das
nach den rheinisch gefärbten Anweisungen des kommandierenden Schreiners.
Darüber vergingen 35 Minuten.
„Wie langsam sie gearbeitet haben,“ bemerkte ich zu Frau Rammbaum, „und drei
Mann hoch!
Bei meiner früheren Arbeit …“ Sie unterbrach mich: "Bei uns ist das eben anders,
wenn Sie
sich Mühe geben, werden Sie es lernen."
Am frisch gelieferten Schreibtisch rechnete ich vor mich hin: je drei Minuten
von zwei Ministerialdirektoren, je 10 Minuten eines Referatsleiters und seines
Stellvertreters, schließlich
35 Minuten für das Transporter-Team, das waren, Gehälter, Sozialabgaben,
Krankheiten, Urlaub,
Kuren und Weihnachtsgeld eingerechnet, rund 280 DM. Wie gesagt, ich war
Behördenneuling und brauchte, um mich von diesem Erlebnis zu erholen, einen
starken Kaffee. Also nahm ich den Lift
zur Kantine.
Dort saßen die drei Transporteure bei einem Glas Kölsch. Expertenhaft besprachen
sie das
Samstagsspiel von Schalke 04. Ich trank meinen Kaffee und ging. Sie hatten
inzwischen ein
neues Kölsch geholt und der 1. FC Köln war an der Reihe. Es gab viele
Bundesligavereine.
Auf dem Rückweg zum Büro revidierte ich meine Kalkulation: der Transport von
Schreibtisch und Büroschrank vom vierten zum zweiten Stock hatte mindestens 320
Mark gekostet.
Das war vor 30 Jahren. In heutigen Zahlen wäre es mehr als das Doppelte. In
meiner
Behördenlaufbahn bin ich ein paar Mal umgezogen, und habe dabei ähnliche
Erfahrungen gemacht.
Frau Rammbaum hat Recht behalten, ich habe das Staunen verlernt.
© Werner Hadulla |