Seit Kalle Fleischmann die
schrecklichen Bilder von zusammengepferchten Schweinen in
einem Koben, halbverendeten
Delfinen in Netzen und von BSE gezeichneten hin und her
taumelndenden Rindern gesehen
hatte, beschloss er, dass kein Leichengift mehr in seinen
Körper gelangen sollte.
Fleischmann wollte Vegetarier werden und es vielleicht sogar zum
Veganer schaffen, aber es war
ihm durchaus bewusst, dass es bis dahin ein dornenreicher
Weg ist und es noch lange
dauern würde, bis sich seine Tagesration an Nahrung aus einer
Vogelfutterhandlung bestreiten liesse.
Anfangs fiel ihm die Umstellung auf vegetarische Kost schon sehr schwer, denn
bislang war sein
Name Programm
gewesen und Fleischmann ein gern gesehener Kunde in den Wurst- und
Fleischwarenabteilungen der Supermärkte.
Aus Müsli am Morgen, Tofu zu Mittag und als besonderer Leckerbissen
Grünkernbulette am
Abend bestanden
fortan seine Mahlzeiten. Mit knurrendem Magen ging Kalle zu Bett. In seinen
wirren Träumen
tauchten zwar nicht die Fleischtöpfe Ägyptens auf, aber rosige Eisbeine und
leckere
Bratwürste
geisterten schon durch sein Hirn. Erst allmählich ließ die Fleischeslust nach.
Aus dem zu fast lebensbedrohlichem Übergewicht neigenden Fleischmann war ein
asketisch
wirkender und
wesentlich jünger als 35 Jahre aussehender Mann geworden. Dadurch stiegen
auch seine Chancen
bei der Damenwelt, und seit kurzem war er mit der Fast-Veganerin
Elli Schmalfuss
liiert. Kennengelernt hatten sie sich in einem Tofu-Spezialrestaurant,
das bei seiner
Eröffnung mit dem Slogan „Fleisch macht krank -Tofu schlank“ in der
Lokalzeitung
geworben hatte. Kalle Fleischmann und Elli Schmalfuss lebten in einer
Grossstadt, Kalle
wohnte noch noch bei seiner Mutter, und Elli Schmalfuss logierte in einem
Ein-Raum-Appartement.
„Ach wäre das
schön, ein Häuschen im Grünen zu besitzen und fernab dieses Molochs von
Stadt zu leben“,
seufzte Elli eines Tages. „Wir könnten alles mögliche anpflanzen und wären
nicht mehr den
Verlockungen diverser Fisch- und Steakrestaurants ausgesetzt“, meinte Kalle.
Kurzum, beide kratzten ihre Ersparnisse zusammen und mieteten sich eine auch im
Winter
bewohnbare Laube
inmitten eines großen Gartens.
Es war die Idylle pur. Bis, ja bis sich der Nachbar zur Linken eines Tages für
sein Hühnervolk
inen jungen Hahn
zulegte. Elli weckte Kalle gegen 7 Uhr bislang mit einem nach Honig-Müsli
riechendem Kuss.
Damit war es vorbei, denn der Hahn des Nachbarn schien bei seinem
Hühnervolk nicht
ausgelastet zu sein, oder seine innere Uhr tickte wie das ganze Tier auch
nicht richtig, und
dieser Störenfried begrüsste den noch nicht mal angebrochenen neuen Tag
mit einem Gekrähe,
das glatt die Trompeten von Jericho übertönt hätte. Elli störte das nicht
ganz so, denn sie
war eh eine Frühausteherin, aber Kalle Fleischmann litt wie ein Tier in
einem zu engen
Käfig unter dem infernalischen Krach, den der Hahn jeden Morgen veranstaltete.
Auch die Beziehung
zu Elli verlief nicht mehr ganz so harmonisch, denn Kalle trank hin und wieder
ein Schälchen
Milch und ass am Wochenende mal ein Ei. Elli hingegen lehnte dies kategorisch
ab,
denn sie wollte
überhaupt keine tierischen Produkte mehr zu sich nehmen.
Fleischmann legte sich nun schon gegen 21 Uhr zu Bett, stopfte sich Stöpsel in
die Ohren,
aber in Erwartung
des Höllenlärms bei Tagesanbruch schlief Kalle fast so gut wie gar nicht mehr.
Er magerte noch
mehr ab und selbst das leckerste Gurkensüppchen, das ihm Elli zubereitete,
schmeckte nicht
mehr. Der Hass auf den terroristischen Hahn wuchs ins Unermessliche.
So wie Fleischmann
die Tiere bedauert hatte, so fokussierte sich seine Abneigung nun gegen
diesen anmaßenden
Gockel, der keinerlei Rücksicht auf sein Schlafbedürfnis nahm.
Eines Tages, als Elli zu einem Kongress der angehenden Veganer reiste und auch
der Nachbar
abwesend war,
lockte Kalle den Hahn mit fetten Maiskörnern auf sein Grundstück. Voller
Wolllust
schnitt er dem
stattlichen Tier die Kehle durch. Plötzlich überfiel Kalle ein Heisshunger auf
fleischliche Kost.
Von seiner Mutter, die vom Lande kam, hatte Kalle gelernt, wie man einen
Hahn rupft.
Nachdem er das Tier noch ausgenommen und die Federn sorgfältig vergraben hatte,
kochte er sich
eine kräftige Hühnerbouillon. Gierig verzehrte er das schmackhafte Süppchen.
Da ihm das noch
nicht genügte, orderte er per Telefon bei einer Brathähnchenbude noch zwei
Hähnchen, welche
er auch noch genüsslich verzehrte.
Nachdem er seine Siebensachen gepackt hatte, nahm Kalle einen Stift und schrieb
auf ein
Blatt Papier:
„Liebe Elli, bin rückfällig geworden und ziehe wieder zu meiner Mama.