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Kurzgeschichten von Harald Kriegler

 
Seiten: Menschliches Leute Illusionen Kurzprosa Kurzprosa Kurzprosa Kurzprosa

 

Selbstverwirklicht

 

Als ich neulich von meiner mittelschweren Arbeit als Bürodiener beim Liegenschaftsamt nach Hause

kam und den Kühlschrank öffnete, starrte mich das Nichts an. Nichts ist ein wenig übertrieben, denn in der oberen Ecke des Kühlschrankes versteckte sich verschämt eine kleine schon etwas angegangene Tomate. Meine Frau Bea, die schon seit langem nicht mehr für uns kocht, hatte wieder mal vergessen einzukaufen. Vor Jahren erbte Bea von ihrer Mutter, Gott hab sie selig, ein erkleckliches Sümmchen

Geld, und seitdem gehen wir essen oder verköstigen uns aus Beständen der Tiefkühltruhe.

Meine Frau verwirklicht sich selbst. Das tut sie aus voller Inbrunst. Zuerst war es ein Makramee-Kurs.

An den von meiner “besseren Hälfte“ in Knüpfarbeit gefertigten Blumenampeln, die in allen Räumen von der Decke baumeln, habe ich mir schon des öfteren den Kopf gestoßen. Danach hatte es Bea das Töpfern angetan. Diverse Kleinplastiken verstopfen seitdem unsere Wohnung. Einen besonders hässlichen Torso, der mich wegen seiner Ungestalt ein wenig an meine eigene Figur erinnerte,

entsorgte ich eines Tages heimlich in die Mülltonne. Nach einem abgebrochenen Samba-Lehrgang, welcher nur sein vorzeitiges Ende fand, weil ich Bea vor die Alternative gestellt hatte - der Schmachtfetzen von Sambalehrer oder ich - entdeckte meine mir Angetraute nach unserem

Türkeiurlaub ihre Leidenschaft für den Bauchtanz. Mein Bauch wurde immer weniger, ihrer dagegen

durch das ständige Üben immer muskulöser. Ich fühlte mich mitunter in einen Haremspalast versetzt, wenn Bea bei lauter orientalischer Musik durch die Räume schwebte und dabei so mit den Hüften wackelte, dass die Blumenampeln in heftige Bewegung gerieten.

Nachts, wenn ich vor knurrendem Magen nicht einschlafen konnte, stellte ich mir vor, wie ich mit

einem Messer die Makrameearbeiten von der Decke schnitt, die Blumentöpfe aus dem Fenster

schmiss, die Plastiken mit einem Langstielhammer zertrümmerte und die Kassetten mit der

nervtötenden Bauchtanzmusik mit meinen schweren Bergstiefeln zermalmte. Nach wirren Träumen wachte ich schon im Morgengrauen auf und bereitete mich völlig entkräftet auf meine Arbeit im Liegenschaftsamt vor. Ich war nur mehr ein Schatten meiner selbst. Was würde sich meine Frau als nächstes einfallen lassen, wenn ihr Interesse am Bauchtanz erlahmte? Würde sie sich vielleicht ein Gamelanorchester bestellen und kultische Veranstaltungen und Schattenspiele in unserer Wohnung aufführen? Manchmal erwischte ich mich bei dem ketzerischen Gedanken, sie würde sich für das Brutverhalten der Pinguine interessieren und an einer Antarktisexpedition teilnehmen.

Zufällig las ich in der Lokalpresse ein Inserat der Volkshochschule, welches für einen

Psychologielehrgang warb. Versprochen wurde in der Anzeige, dass ein diplomierter Psychologe den Teilnehmern Durchsetzungsvermögen und mentale Stärke antrainieren würde. Ich ergriff die Gelegenheit

beim Schopfe und meldete mich an. In der ersten Unterrichtseinheit stellten wir uns im Kreis auf. Der Psychologe forderte uns auf, uns mit einem Urschrei von allem seelischen Ballast zu befreien. Ich tat wie mir geheißen und fühlte ich mich daraufhin schon viel besser.

Unser Kurs “Wie erkenne ich mich selbst“ trug Früchte. Ich erkannte vor allem, dass ich bisher

ein großer Trottel gewesen war. Ich hatte mir alles gefallen lassen und nie mit der Faust mal auf den Tisch geschlagen. Schon nach der dritten Unterrichtsstunde gelang es mir, Dank meines wieder gewonnen Selbstbewusstseins und meiner erworbenen Rhetorik, meine Frau zu überzeugen, dass wir fortan gemeinsam einen thailändischen Kochkursus besuchen.

Wir haben den Tiefkühlschrank verkauft und uns einen Wok zugelegt. Das Essen ist auf Dauer

zwar ein wenig einseitig, aber wir haben endlich gemeinsame Interessen, und Bea und ich sind

wieder ein leidlich glückliches Paar.

 

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