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Erzählungen von Wilhelm Hasse

Kurzgeschichte
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Hanno im Glück

 

Bis vor kurzem dachte Hanno Hobelspan, er sei der geborene Verlierer. Er hatte noch nie etwas

gewonnen. Doch jetzt war plötzlich etwas passiert, was ihm noch nie widerfahren war: Er hatte

in einem Glücksspiel gewonnen. Und das nicht zu knapp. Gestern lag Fortunas Freudenbotschaft

in einem ganz normalen Couvert in seinem Briefkasten. Er öffnete den Umschlag, der ohne Absender

war, zunächst ganz vorsichtig, denn es hätte ja auch eine Briefbombe sein können. Aber es war,

wie in ganz großen Lettern zu lesen, eine „VIP-Urkunde“. VIP – das wusste Hanno –

bedeutet "sehr wichtige Person".

Hanno fühlte sich teils geschmeichelt, teils bedroht. Sind es doch gerade wichtige Personen,

die (das gehört wohl zu ihrer Wichtigkeit) eine gewisse Anzahl von Feinden haben. Aber was

weiter auf dem Blatt stand, beruhigte Hanno wieder. Er las als nächstes die Wörter

„Platinum Spezial“. Aha, dachte er, das muss ja etwas ganz Wertvolles sein, denn Platin ist ja

noch kostbarer als Gold und Silber. Und dann noch „Spezial“! Er war neugierig geworden und freute

sich im Weiterlesen über die individuelle Anrede: „Sehr geehrter Herr Hobelspan“. Wer ist nicht gerne

sehr geehrt, dachte Hanno, und erfuhr dann in den nächsten Sätzen: „Im heißen Sommer 2007

sind bei unserer Direktion 4711 richtige Einsendungen aus unserem Club-Roulette Selekt eingegangen.

Es freut uns, Ihnen mitteilen zu können, dass Sie als einer der glücklichen Gewinner ermittelt worden sind. Herzliche Gratulation!“

Hanno überlegte. Stimmt, der Sommer war heiß. Daran konnte er sich erinnern. Aber an ein

Club-Roulette Selekt – nein, er hatte noch nie eine Spielbank betreten. Und so viel er auch grübelte,

außer einigen vergeblichen Lottotipps, gelegentlichen Nieten auf dem Rummel und einer verlorenen

Wette gegen seinen Freund Rudi, die ihn eine halbe Flasche Bordeaux kostete, fiel ihm nichts ein.

Er erinnerte sich ungern, dass es bei der Wette mit Rudi darum gegangen war, wen ihr gemeinsamer

Chef wohl als Ersten aus betrieblichen Gründen entlassen würde. Sie waren dann allerdings beide am

gleichen Tag gefeuert worden und hatten sich den Bordeaux geteilt. Jetzt war Hanno noch immer

arbeitslos und freute sich über die Glücksnachricht, die ihm die Lösung all seiner Probleme verhieß:

„Das ist für Sie, Herr Hobelspan, das ganz große Los, etwas Einmaliges zu gewinnen und sogar

ichtig reich zu werden. Ihre Gewinnnummer lautet 1957.“ Mein Geburtsjahr! dachte Hanno und

wunderte sich jetzt überhaupt nicht mehr über so viel Glück, zumal als er las: „Schon jetzt,

sehr geehrter Herr Hobelspan, ist Ihnen ein fantastischer Preis sicher, unter anderem eine Million Euro

in bar auf die Hand, oder eine Villa, ein Traumauto, eine Superküche, eine Kreuzfahrt und viele tolle

Reisen in die Karibik, zum Indischen Ozean, nach Spanien oder Griechenland.“

Hanno Hobelspan konnte sein Glück nicht fassen. Er schwelgte in der Vorstellung vom Geldsegen

und war hin- und hergerissen zwischen Traumhaus, Kreuzfahrt und Superküche. Siegesgewiss

lächelte er , als er die VIP-Urkunde zu Ende las: „Um ganz sicher zu gehen“, hieß es da, „dass das Lösungswort auch von Ihnen erraten wurde, möchten wir Sie bitten, unsere Preisfrage auf der

beiliegenden Postkarte nochmals zu beantworten: Wie heißt die Hauptstadt von Frankreich?

Einsendeschluss bitte beachten. Mit freundlichen Grüßen Ihre Platinum-Spezial.“

Hanno, der zwar noch nie in Frankreich war, aber durch das Ausfüllen unzähliger Kreuzworträtsel

über eine durchaus passable Allgemeinbildung verfügte, schrieb mit großen Lettern das Wort

„Paris“ auf die Karte und machte in dem Kreis ein dickes Kreuz, neben dem es hieß:

„Ja, ich nehme meinen Gewinn an.“ Das war doch klar, dass er einen solchen Segen nicht ablehnte.

Er schrieb auch noch, wie verlangt, seine Bankverbindung hin, seine Kontonummer und vor allem seine

Gewinnzahl 1957. Gerade, als er den Kugelschreiber zufrieden mit sich und der Welt hinlegte,

klopfte es. Das war Rudi. „Ich wollte mal vorbeischauen“, sagte dieser und rief: „Hey, Hanno!

Du strahlst ja über beide Backen! Haste nen neuen Job?“ Hanno winkte lässig ab. „Nie mehr

malochen!“ sagte er und weihte den Freund in seinen Glücksfall ein. Er zeigte ihm stolz die

Urkunde, die ihn als sehr wichtige und sehr reiche Person auswies.

Rudi überflog das Papier und fragte: „Wo ist der Haken?“

"Du verdammter Skeptiker! Du bist doch nur neidisch!“ rief Hanno und riß ihm die VIP-Urkunde

aus der Hand, klebte eine Briefmarke auf die Karte mit dem Lösungswort „Paris“ und sagte:

„Da ist nichts faul, wollen wir wetten?“

„Um zwölf Flaschen Champagner!“ schlug Rudi vor, und Hanno schüttelte die ausgestreckte

Hand des Freundes und lachte siegessicher: "Top, die Wette gilt!"


 

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