Startseite

Gedichte

Kurzgeschichten

Autoren
►  Bär, Christine
►  Bansen, Bruno
►  Büchler, Helmut
►  Hadulla, Werner
►  Hasse, Wilhelm
►  Hohmann, Ulli
►  Karst, Claus
►  Kieber, Jutta
►  Kriegler, Harald
►  Menard, Lutz
►  Mößner, Bernhard
►  Müller, Hendrik
►  Paffrath, Günther
►  Possehl, René M.
►  Spröhr, Inge

Karikaturen

FORUM

LESERMEINUNG

Kontakt

Impressum

Autorentreffen

KlapphornClique

 

 

Erzählungen von Christine Bär

 

Seite 1 2 3 4      


Harsträubende Bananen-Diät

 



 

Als berufstätiger Mensch bin ich es gewohnt, zeitig aufzustehen. Es fällt mir nicht leicht, aber im Laufe der Jahre hat sich mein Körper an diese Notwendigkeit gewöhnt.
 
Jeden Morgen das immergleiche Ritual: Aufstehen, unter die Dusche springen, Cremes, Pasten und Kosmetik aller Art auftragen - womit Frau sich so grundiert und dekoriert -.
Anschließend folgen der täglichen Kampf mit Kamm, Haarfestiger, Stylingspray, Draht- und Föhnbürste, sowie minutenlanges Ein- und Ausrollen unzähliger feiner Strähnchen, die Berieselung meines Kopfhaares mit Sprayschwaden, zwangsläufiger Flucht aus dem Badezimmer wegen aufsteigendem Hustenreiz (… und weil der Teekessel flötet), nach dem Nebelverzug wieder ins Bad zurück, in den Spiegel gespäht und ... zum Teufel aber auch!, mein Kopf sieht aus, als
wäre ich gerade aufgestanden. Meine Haarpracht wehrt sich sträubend einmal mehr gegen meine Versuche, Form hineinzubringen.
 
So konnte ich mich nicht mehr länger unters Volk wagen. Eine Renovierung tat Not! Unbedingt, und zwar sofort!
Punkt acht Uhr griff ich zum Telefonhörer und rief Brigitte an. „Haarstudio Gärtner“ flötete mir ihr Stimmchen entgegen. Ich bat sie um einen dringenden Termin, spätestens morgen.
„Tut mir Leid, diese Woche wird das nichts mehr. Du kannst nächsten Dienstag um 16.30 Uhr kommen.“
Mit weit aufgerissenen Augen saß ich da. Es verschlug mir die Sprache, und mein Mund wurde trocken. Wie sollte ich und erst recht meine Haarpracht das nur so lange aushalten? ... Verzweifelt sagte ich zu, stand jeden Morgen eine Viertelstunde eher auf, um mit dem so gewonnenen Mehr an Zeit den Aufwand des morgendlichen Haarstylings besser bewältigen zu können. Die Leser werden es schon ahnen: mit bescheidendstem Erfolg, um nicht gleich zu sagen ohne jeden.
 
Schließlich nahte der Dienstag, und die Vorfreude auf das bevorstehende Verschönerungsereignis steigerte sich beträchtlich. Brigitte beherrschte nicht nur hervorragend ihr Handwerk, sie brachte mich auch - was die letzten vierzehn Tage in meinem Heimatort anbelangt -nachrichtentechnisch immer wieder auf den neuesten Stand. Das ist wichtig! In diesem Provinznest kennt immer irgend
jemand irgendeinen, der einen kennt, den man am Freitagabend beim Wochenendeinkauf trifft. Da muss man schon mitreden können. Im Tiefflug jagte ich mein kleines Auto über die Autobahn gen Heimat.
Noch schnell mit der Umgehungsstraße an das andere Ende und ... fast pünktlich da.
 
Brigitte empfing mich frohgemut mit dem Frisierumhang in der Hand und wies mir den mir angestammten Stuhl zu.
„Was soll es denn werden?“
Das fragt sie mich immer, obwohl sie genau weiß, dass ich das auch nicht so genau weiß.
„Bitte mal etwas Neues!“ gab ich ihr zur Antwort, „hier und da etwas kürzer, aber nicht zu kurz! Hinten so, dass das Haar nicht auf dem Kragen steht, an der Seite muss es aber um das Ohr herum reichen. Das sieht weiblicher aus. Und vorn bitte ein paar Strähnchen frech ins Gesicht!“
„Also, wie immer“, gab sie knapp zur Antwort, und ich fügte mich in mein Schicksal.
 
Bevor sie mich erst einmal mit dem Frisierumhang zu erwürgen versuchte, schob sie mir noch einige Zeitungen unter die Nase.
Ich griff mir willkürlich eine heraus, diese bunten Frauenzeitschriften
sind doch eh alle gleich, in Optik ebenso wie im Inhalt. Vom Titelblatt grinste mich Prinzessin „Wunderschön“ mit ihrem strahlenden "Zahnpastareklamelächeln" an. Ich versuchte sogleich selbiges in dem Spiegel vor mir, sah aber nur ein verschwommenes hautfarbenes Irgendetwas mit feuchten dunkelbraunen Fusseln oben drauf. Die Brille lag außer Reichweite. War bestimmt auch besser so.
Während ich nachschlug, warum der königliche Nachwuchs eine solche Heiterkeit verbreitete, erzählte mir Brigitte von der Kundschaft, die heute ihre Werkstatt schöner denn je wieder verlassen hatte.
Da war die alte Dame, die immer von ihrem Mann begleite wurde. Sie konnte so schlecht alleine laufen. Aber heute ging es ihr gut. Der Mann kam trotzdem mit, wegen der Zeitschriften und man weiß ja auch nie. Frau Lehmann hatte endlich einen Job in dem neuen Kaufhaus gefunden, in der Dessousabteilung.
„Da musst du unbedingt mal hin! Sie hat heiße Teilchen … sagt sie.“
Die Tochter des Klempners hatte endlich ihr Kind bekommen, es ist ein Junge. Und Herr Schmidtbauer hatte immer noch keine Frau.
„Wäre der nicht was? ...“
 
Ich blätterte Gedanken versunken vorbei an halb voll gerätselten Rätseln, blätterte Seiten voller abgehalfterter TV-Stars von rechts
nach links. Schminktipps, gute Ratschläge für die Erziehung der Kinder, Kochrezepte ... „Bananen-Diät“ – was ist das denn? Wir leben hier
zwar im Osten Deutschlands, haben nach der Wende die Bananenflut schadlos überstanden, hatten jedoch offensichtlich noch nicht die wahren Werte dieser exotischen Früchte verinnerlicht. Mir wurde auf der Stelle meine Bildungslücke bewusst und mangels anderer noch uninteressanterer Themen fing ich an zu lesen: „Bananen – warum
sie so schön und glücklich machen“.
„Klar, weil wir jetzt zum Westen Europas gehören und es uns sogar leisten können, diese Energiespender fein püriert auf den ganzen Körper zu schmieren“,
gab ich mir die Antwort gleich selbst. Doch weit gefehlt! Essen soll Frau diese gebogenen Freudenspender, und der Speiseplan für die nächsten sieben Tage mit Frühstück, Vormittagssnack, Mittagessen, Nachmittagsknabberei und Abendbrot war übersichtlich auf zwei Seiten angeordnet, geschmückt mit einer jungen Frau, die gerade glücklich in eine dieser Köstlichkeiten biss.
Es gab zu jeder Hauptmahlzeit - wie nicht anders zu erwarten war – eine Banane: zum Frühstück mit zwei Tassen Früchtetee (wahrscheinlich die Sorte Banane-Joghurt). Zum Mittagessen mit wahlweise einer Scheibe Vollkornbrot oder einem Teelöffel Tomatenmark dazu. Abends durfte dann richtig zugeschlagen werden:
100 Gramm Schollenfilet mit drei Rädern Banane gebraten und anschließend mit Buttermilch, Zimt und Muskat gemixt als Drink dekorativ verziert serviert. Vormittags war meist nur ein Becher Bananen-Magermilchjogurt oder ein Apfel zulässig. Ein Apfel?
Wie passt der denn in eine Bananen-Diät? Von Konsequenz keine Spur! Am sechsten Tag wurde die verbliebene Bananenhälfte von gestern verspeist, und am Sonntag durfte Frau, ich zitiere
wörtlich: „Eine Banane ganz langsam genießen!“
 
Ich sah mir die junge Frau genauer an, die mich verklärt aus dem Magazin anstrahlte.
„Wollen die mir jetzt wirklich einreden, dass? ...“, fragte ich mich. Ein unheimlich breites Grinsen vergeistigte meine Gesichtzüge. Banane als Verhütungsmittel? Stattdessen?
Das Fotomodell lächelte wissend.
 
„Halt still!“, holte mich die „Hairstylistin“ zurück in die banale Realität ihres Salons. Sie war fast fertig, sprühte nur noch etwas Haarspray über ihr Werk. Als sich der Nebel verzogen hatte, setzte ich meine Brille wieder auf und beäugte mich kritisch von allen Seiten.
„Du siehst mindestens eine Woche jünger aus!“,
kommentierte sie ihr kunstvolles Oeuvre. Es war wohl eher das Schmunzeln, das mein Gesicht noch immer zierte. Sie freute sich, dass mir die Frisur gefiel. Ich freute mich auf eine weniger aufwändige Morgentoilette, bezahlte und ging.
 
Beim kleinen Einkauf danach traf ich Angelika, meine Nachbarin. Wir klönten über die Kinder, die Schule und die Lehrerin.
„Hast du die Frau Kunze gesehen? Die hat abgenommen ...“
„Ach, die übertreibt doch ...“, meinte ich mit einem unbefriedigenden Blick an mir herunter. Dieser neumodische Schönheitswahn stimmt mich dauerhaft unzufrieden, sobald das Thema angeschnitten wird. Angelika streute indes unverdrossen Salz in meine Wunden:
„Aber sie sieht klasse aus, und eine neue Frisur hat sie auch.“
Jeden Tag sehen wir uns am Zaun. Aber dass ich gerade auch vom Frisör gekommen bin, sieht sie nicht. Ich wollte mich schon verabschieden, als wir durch die Obst- und Gemüseabteilung schlenderten.
„Kennst du schon die neue Bananen-Diät?“, fragte sie mich neugierig. Ich dachte wieder an die dreiste Bananenbenutzerin in der Zeitschrift.
„Sicher, du schneidest eine Banane der Länge nach auf, legst eine Scheibe mageren Schinken dazwischen, dazu reichst du je nach Wunsch eine kleine Schale Sojakeime mit Currydressing oder drei Bananenchips mit Paprikapulver. Das verhütet Speckringe auf den Hüften.“
 
Nachtrag: Morgens länger schlafen war - wie voraussehbar – eine Illusion!
Kennt ihr noch den kleinen König Kallewirsch aus der Augsburger Puppenkiste? Den sehe ich jeden Morgen in meinem Spiegel
 

 


◄   zurück Seite -1-