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Ferdinand
Auszug aus "Inseln der Erinnerung"
 

Es war während des zweiten Weltkrieges im Jahr 1943 in der damaligen CSSR. Wir wohnten fernab großer Städte auf unserem Gutshof, auf dem bescheidenes, beschauliches Dasein unser Leben bestimmte. Die weite Landschaft der Hanna-Ebene, einer fruchtbaren Flusssenke, die als Kornkammer Mährens galt, dehnte sich im Sommer, wie ein wogendes Meer aus goldenen Weizenfeldern, bis hin zum Horizont.

Wir Kinder entwickelten uns in dieser natürlichen Umgebung ohne Fernsehen, Handy und Computer, spielten mit Steinen und Schlamm aus dem Flussbett, bauten Dämme und Häuser aus Blättern und Zweigen, kletterten auf Bäume, malten oder vertieften uns in die Märchenwelt der Gebrüder Grimm oder Andersen.

Mein Vater, Landwirt mit Leib und Seele, war ein praktisch denkender Mensch. Schon vor Jahren hatte er mit einer Schweinezucht begonnen, von der er sich finanziellen Erfolg und Absicherung für harte Zeiten versprach. Nach und nach hatte er stabile Holzbauten auf freiem Gelände errichten lassen, das reichlich Auslauf für die Tiere bot. Jede einzelne Hütte, mit vorgelagertem Wühlgarten und Jägerzaun umgeben, stand für sich und war für je ein Muttertier und ihre Jungen bestimmt. In frischer gesunder Luft sollten die Ferkel wachsen und gedeihen.

Der gewichtige Zuchteber „Ferdinand“ und Vater aller bewohnte eine eigene „Villa“, wie mein Vater dessen Behausung humorvoll nannte.

Eines Tages rief er mich zu sich ins Büro und verschmitzt lächelnd sagte er: „Du kannst dir zusammen mit deinen Spielgefährten gutes Taschengeld verdienen. Ich will noch nicht verraten,

um was für eine Tätigkeit es sich handelt, aber ich verspreche dir, es ist keine schwere Arbeit,

die ich für euch vorgesehen habe, im Gegenteil, sie ist kinderleicht. Überlegt es euch“.

Neugierig geworden, rief ich meine Freunde zusammen und wir beschlossen, die von meinem Vater gestellte Aufgabe zu übernehmen. Wir trafen uns erwartungsvoll in seinem Büro. Dort drückte

mein Vater jedem von uns einige Reagenzgläser mit kleinen Verschlusskorken in die Hände und führte uns zu „Ferdinand“, der seine prallen Speckseiten heftig an den Zaunlatten seines Geheges rieb.

„Er hat Flöhe, die ihn plagen !“ erklärte mein Vater und fügte aufmunternd hinzu: „Wenn ihr bereit seid, Ferdinand von seinen Quälgeistern zu befreien, bezahle ich euch dafür. Für jedes bis zum Rand mit Flöhen gefüllte und fest verkorkte Röhrchen bekommt ihr eine halbe Krone.“ Wir stimmten sofort zu, denn eine halbe Krone war damals eine Menge Geld, für das man sich ein ganzes Kilo dieser wunderbar schmeckenden, harten,  rosaroten Himbeerbonbons würde kaufen können, die

es im einzigen Kolonialwarenladen des Dorfes gab.

Wir machten uns sofort an die Arbeit, stiegen über das Gatter in Ferdinands Gehege und während einige von uns den zappelnden, quiekenden Eber an Schwanz, Ohren und Beinen mit aller Kraft festhielten, durchsuchten die anderen seinen massigen Körper. Die Schweineflöhe, groß, dick und durchsichtig, krabbelten etwas unbeholfen und schwerfällig zwischen den hellen Borsten auf der Haut des Ebers herum und waren mühelos zu fangen. Ferdinand, der allmählich zu begreifen schien, dass wir ihm nur Gutes tun wollten, ließ unsere Sammelaktion schließlich wohlig grunzend über sich ergehen.

Uns hatte das Jagdfieber gepackt und weil uns das Läusefangen ungemeines Vergnügen bereitete,  krochen wir anschließend noch in die Pferche von Ferdinands Haremsdamen und befreiten auch diese von den lästigen Schmarotzern.

Die Reagenzgläser füllt sich rasch. Wir erhielten von meinem Vater den versprochenen Lohn. Für jedes volle Röhrchen eine halbe Krone !

Danach lobte er nicht nur unseren Fleiß und unsere Ausdauer, sondern vor allem unseren Mut.

„Ihr habt in Bezug auf Tierliebe und Tierschutz eine enorme Leistung vollbracht, die große Anerkennung verdient“ sagte er mein Vater schmunzelnd,  öffnete einen seiner Aktenschränke, holte aus einem Karton für jeden von uns eine große runde Karlsbader Oblate, die an einer langen roten Kordel hing. „Das sind Orden für außergewöhnlichen Einsatz“ lachte er und streifte sie uns über.

Wir freuten uns riesig, denn Karlsbader Oblaten waren eine besondere Delikatesse, damals eine Seltenheit, und nicht in unserem Dorf erhältlich. Dankbar, zufrieden und von einem sinnvollen Einsatz überzeugt, wurde uns schließlich bewusst, dass meines Vaters Schweine von diesem Tage an die gepflegtesten und wohl auch die glücklichsten in der ganzen Umgebung gewesen sind.

 

 


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